Öcalans Stimme verstummt

Der PKK-nahe kurdische Fernsehsender Med-TV darf drei Wochen lang nicht senden. Jetzt startet die türkische Regierung ein kurdischsprachiges Gegenprogramm  ■  Von Thomas Dreger

Nach der Verhaftung des PKK- Chefs Abdullah Öcalan und seiner anhaltenden Abschottung von jeglicher Öffentlichkeit werden nun auch die Sprachrohre der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) verstopft. Seit vergangenem Montag ist der aus London sendende Satellitenkanal Med-TV für mindestens drei Wochen zum Schweigen verurteilt. Die britische Medienaufsicht ITC hat der Med-Broadcasting Ltd. vorübergehend die Lizenz entzogen. Begründung: Mehrere nach der Verhaftung Öcalans ausgestrahlte Sendungen enthielten eindeutig Elemente, die „zu Verbrechen ermutigen und anstacheln“.

Anlaß zu diesem Schritt gab eine Intervention der türkischen Regierung, die in London, Bonn und Brüssel vorstellig geworden war. Ihr Anliegen: In diesen Ländern produzierte, „zum Terrorismus anstiftende Medien“ sollten geschlossen werden. Neben Med-TV richtete sich der Vorstoß der Türkei auch gegen die Zeitung Özgür Politika (Offene Politik) und die Nachrichtenagentur DEM. Beide Organe haben ihren Hauptsitz in Deutschland, und beide verbreiten Nachrichten und Berichte vor allem aus Sicht der PKK.

Die Macher von Med-TV, die den Namen ihres Senders auf die antiken Medäer, die angeblichen Vorfahren der Kurden, zurückführen, haben nun 21 Tage Zeit, um ihr publizistisches Anliegen zu erläutern. Dann wird die Fernsehkommission darüber entscheiden, ob der Sender den Betrieb wieder aufnehmen darf – für die Kurden in und außerhalb der Türkei eine Entscheidung von weitreichender Bedeutung: Med-TV ist das einflußreichste kurdische Medium überhaupt. Über den Satelliten Hotbird 4 ist das Programm sowohl im Nahen Osten wie auch in Europa gut zu empfangen, Kurden in ihrer Heimat und in der Diaspora profitieren davon. Nach Angaben des Senders schauen bis zu 10 Millionen Menschen das täglich 18 Stunden ausgestrahlte Programm. Sendesprachen sind die drei wichtigsten kurdischen Dialekte Kormandschi, Sorani und Sasa sowie Türkisch, Arabisch und Assyrisch.

Laut Selbstdarstellung ist Med-TV „ein innovativer Satellitenkanal“, de facto gehört der Sender zum Propagandaapparat Öcalans. Aufgelockert von Musik-, Kinder- und Kultursendungen standen bisher die Erklärungen des PKK-Chefs im Mittelpunkt der Programmgestaltung. Einer der Anklagepunkte in dem formal am Mittwoch in Ankara begonnenen Prozeß gegen Öcalan bezieht sich denn auch auf eine vor drei Jahren von Med-TV ausgestrahlte Rede des PKK-Chefs. Der türkische Generalstaatsanwalt hörte daraus „Hochverrat“ und die „Steuerung von terroristischen Aktionen“ heraus.

„Med-TV will vollständig mit der ITC und ihrer Politik kooperieren“, heißt es nun auffallend sanft von den Programmachern zu dem vorläufigen Verbot des Senders. Kein Wunder, Med-TV ist auf die Gunst der Kommission, die auf die Einhaltung ethischer Standards bei von Großbritannien aus operierenden Fernsehstationen achtet, angewiesen. Seit der Kurdenkanal am 15. Mai 1995 auf Sendung ging, läßt die türkische Regierung nichts unversucht, um die Invasion aus dem Äther abzuwenden. Störsender sollen den Empfang zumindest innerhalb der eigenen Grenzen erschweren.

Länder wie Frankreich, Portugal, Spanien und Polen, die dem Sender Satellitenkanäle zur Verfügung stellten, sahen sich konsequenter türkischer Lobbyarbeit ausgesetzt, diese Unterstützung doch bitte einzustellen. Und am 5.März befaßten sich sogar die in Dresden tagenden Innenminister der Bundesländer mit einem möglichen Verbot des Senders. Doch gegen Med-TV „könne nur auf europäischer Ebene“ vorgegangen werden, lautete ihre Erkenntnis.

In den fast vier Jahren seiner Existenz hat der Sender seine Infrastruktur erheblich ausgebaut. Neben Zentrale und Sendeanlage in London verfügt er über ein Hauptstudio in Brüssel sowie Niederlassungen in Deutschland, Schweden und Rußland. Die Finanzierung des Betriebs ist unklar – wie übrigens bei allen Organisationen im Umfeld der PKK. Die Macher behaupten, sie bekämen Geld für Werbung sowie Spenden von kurdischen Organisationen und ihren zahlreichen Zuschauern in Europa. In staatstragenden türkischen Medien heißt es dagegen, der Sender finanziere sich durch Schutzgelderpressung und Drogenhandel.

Die türkische Regierung bastelt derzeit an einer Alternative zu Med-TV. Im April soll „Kurdistan-TV“ auf Sendung gehen. Betrieben wird dieser Satellitensender im Norden Iraks von der dort herrschenden paramilitärischen Kurdischen Demokratischen Partei (KDP). Die Truppe machte bereits mehrfach gemeinsam mit türkischen Soldaten Jagd auf PKKler. Beraten werden die Fernsehmacher von Ilnur Cevik, dem Chefredakteur der in Ankara produzierten Zeitung Turkish Daily News und früheren Berater des türkischen Präsidenten Süleyman Demirel.