Der Terror im Kosovo folgt bekannten Mustern

■ Die serbische Führung setzt erneut ihre Strategie der „ethnischen Säuberungen“ aus dem Krieg in Bosnien-Herzegowina ein. Die handelnden Personen sind zum Teil die gleichen

Die Bilder der Zehntausende Menschen, die jetzt aus dem Kosovo fliehen müssen, sind so schockierend wie jene aus der kroatischen Stadt Vukovar 1991 oder aus Bosnien-Herzegowina 1992. Die Dimension der Vertreibungen im Kosovo ähnelt also den Ereignissen von damals. Die Strategie hat sich kaum geändert. Sie ist verbunden mit dem Begriff der „ethnischen Säuberungen“. Und mehr noch – teilweise handelt es sich bei den Akteuren um die gleichen Leute. Wenn jetzt die Truppen von Milizenführer Zeljko Raznjatović, genannt Arkan, in Priština aufgetaucht sind, dann zeigt sich dies besonders deutlich. Arkan selbst sagte in einem Interview von Reuters TV, er sei noch in Belgrad. „Aber ich verspreche“, so Arkan, „in dem Moment, wenn Nato-Bodentruppen im Kosovo sind, werde ich dorthin gehen.“

Als Teile Kroatiens von den serbischen Truppen erobert wurden, kristallisierte sich diese Strategie das erste Mal heraus. Sicherlich gab es einen Konflikt zwischen Kroaten und Serben in bezug auf die Unabhängigkeit Kroatiens. Zunächst, 1990, forderten die serbischen Vertreter in Kroatien lediglich Autonomierechte für die Serben, demokratische Rechte, Menschenrechte. Dann setzten sich die Radikalen durch. Sie forderten das Territorium für sich und gingen daran, mit Waffengewalt alle, die keine Serben waren, aus den Gebieten zu vertreiben. Im Sommer 1991 hatte sich die Mehrheit der Serben für den Krieg entschieden.

Militärisch wurden die Dinge durch Milan Martić und Ratko Mladić in die Hand genommen. Und sie erprobten die militärische Strategie, nach der bis heute gehandelt wird. Zunächst gingen die serbischen Truppen daran, systematisch ihre Positionen im ganzen beanspruchten Gebiet auszubauen. Dann traten Poizeitruppen auf, die mit Provokationen und Übergriffen Angst unter der nichtserbischen Bevölkerung verbreiteten. Wenn Widerstand entstand, wurde mit der ganzen Härte der Militärmaschinerie vorgegangen. Kroatische Dörfer wurden damals mit Granaten beschossen. Dann kamen die Bodentruppen und eroberten dieses Terrain. Als dritte Stufe erschienen die Freischärler, zudem aus den Gefängnissen entlassene Kriminelle, die nicht nur jeglichen Widerstand erstickten, sondern freie Hand erhielten, die noch nicht geflohene Bevölkerung zu terrorisieren.

In der noch stärker gemischten Bevölkerung Bosnien-Herzegowinas führte diese Strategie zu großen Verbrechen an der Bevölkerung. Die Bevölkerung auch in Gebieten, in denen keine serbische Mehrheit lebte, floh in Panik. Viele jedoch wurden abgefangen, weil die Fluchtwege abgeschnitten waren. Mindestens 160.000 Menschen wurden im Sommer 1992 massakriert, Zehntausende von Frauen vergewaltigt, das eroberte Gebiet wurde zum Zwecke der „ethnischen Säuberungen“ mit rund 100 Konzentrationslagern überzogen – das berühmt-berüchtigste ist wohl Omarska. Hervorgetan haben sich bei diesen Aktionen die „Tiger“ genannten Arkan-Truppen, andere Freischärler, Kriminelle, die Šešelj-Truppen, die Tschetniks. Das Eigentum der Vertriebenen wurde geplündert.

Trotz all dieser Erfahrungen mit der serbischen Strategie konnte es im Juli 1995 zu einem erneuten Massaker kommen – unter den Augen der Welt. In Srebrenica wurden nach Angaben des UNHCR 7.076 Menschen ermordet. Und die verantwortlichen Kommandeure und Politiker wie Mladić und Radovan Karadžić sind bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen.

Auch die in den Krieg manipulierte serbische Bevölkerung Kroatiens und Bosniens hatte unter dem Krieg zu leiden. Während der Gegenoffensive im August 1995 flohen rund 200.000 Serben aus Kroatien nach Bosnien und Serbien, später noch Zehntausende aus Teilen Bosniens, bis mit dem Abommen von Dayton Ruhe einkehren konnte.

Im Kosovo wurde seit Frühjahr letzten Jahres die serbische Strategie erneut umgesetzt. Das Militär ging daran, das Land mit einem Gitter von Artilleriepositionen zu überziehen. Dann fingen Polizeitruppen daran, systematisch und Schritt für Schritt Terror zu verbreiten, die Bevölkerung in Angst zu versetzen. Die Aktionen der in ihrer Stärke völlig überschätzten Kosovo-Befreiungsarmee UÇK dienten dafür als Rechtfertigung. Jetzt sind die Freischärler und Mörder am Werke: Wieder wird die Bevölkerung nach der gleichen Methode vertrieben. Die kosovo- albanische Intelligenzija ist gezielt im Visier der Mörder. Sogar alle Leute, die in den letzten Jahren mit ausländischen Journalisten zu tun gehabt haben, sollen auf Geheiß des Führers der Serbischen Radikalen Partei, Vojislav Šešelj, gejagt und ermordet werden.

Die verbrecherische Politik der Führung, die wieder ihre Mörder von der Leine läßt, wurde in Serbien selbst nicht aufgearbeitet. Es gab und gibt keine wirklich ernsthafte Diskussion über die Verbrechen der jüngsten Vergangenheit. Auch deshalb sind sie heute wieder möglich. Erich Rathfelder, Sarajevo