Flüchtlinge fliehen. EU kalt erwischt

■ 4.000 Kosovo-Albaner pro Stunde flüchten vor serbischer Soldateska nach Albanien. Die EU ist ratlos, was mit den Menschen geschehen soll. Bundesinnenministerium: „Zur Zeit noch keine Flüchtlingswelle nach Europa erkennbar“

Berlin (taz/rtr/AFP/dpa) – Fünf Tage nach Beginn der Nato-Luftangriffe weiß die Europäische Union immer noch nicht, wie sie mit den Flüchtlingsströmen aus dem Kosovo umgehen soll. Ein Sprecher der Europäischen Kommission sagte am Montag in Brüssel, es sei noch unklar, ob die Menschen in der Region blieben oder auf die EU-Staaten verteilt würden. „Die EU hat kein Konzept zur Aufnahme der Kosovo-Flüchtlinge“, kritisierte der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Wilfried Penner (SPD).

Nach Nato-Angaben treffen unterdessen jede Stunde 4.000 Menschen auf der Flucht vor serbischen Truppen im benachbarten Albanien ein – insgesamt wurde ihre Zahl gestern auf mehr als 60.000 geschätzt. Wie das Auswärtige Amt unter Berufung auf Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) mitteilte, gibt es insgesamt über 500.000 Kosovo-Flüchtlinge, davon 250.000 in der Krisenprovinz selbst. Die Gesamtzahl der Kosovo-Albaner lag vor dem Konflikt bei 1,8 Millionen. Auch nach Serbien, Montenegro, Makedonien und Bosnien sind laut UNHCR Zehntausende geflüchtet, in Westeuropa seien etwa 100.000 Kosovo-Albaner.

Im Fall der Aufnahme von Flüchtlingen in der EU muß nach Angaben eines EU- Sprechers noch geklärt werden, wie die finanziellen Lasten innerhalb der Staatengemeinschaft verteilt werden sollten. Der SPD-Politiker Penner kritisierte im Kölner Express, der Appell der Bundesregierung, nach der Erfahrung von Bosnien ein Aufnahmekonzept auf die Beine zu stellen, stoße bei EU-Partnern wie Frankreich oder Großbritannien „auf taube Ohren“. Allerdings scheint es auch die Bundesregierung momentan nicht besonders eilig zu haben. „Zur Zeit ist noch gar nicht erkennbar, daß es eine Flüchtlingswelle nach Europa gibt“, sagte ein Sprecher von Innenminister Otto Schily (SPD) gestern der taz. Derzeit stünde weder ein Abschiebestopp für Kosovo-Albaner noch ihre Anerkennung als Kriegsflüchtlinge auf der Tagesordnung. Die Bundesregierung setzt derzeit auf humanitäre Hilfe vor Ort und will dafür 15 Millionen Mark bereitstellen. Das Auswärtige Amt hatte in der vergangenen Woche zehn Millionen Mark bereitgestellt.

Unterdessen hat Rußland bekanntgegeben, daß Premierminister Jewgeni Primakow heute in Belgrad eintrifft. Er will samt Außen- und Verteidigungsminister zwischen der Nato und Jugoslawien vermitteln. Ziel sei ein sofortiges Ende der Nato-Luftangriffe, so ein russischer Regierungssprecher. pat