Ausgelagerter Schmelztiegel

Das Berliner Haus der Kulturen der Welt stellt vietnamesische Kunst der neunziger Jahre aus. Zum Vorschein kommen Identitätsbildungen einer Nachkriegszeit  ■ Von Harald Fricke

„Bindet das große Armband“ heißt ein Poem von Trinh Cong Son, das auf einem zartgelben Blatt im Katalogheft abgedruckt wurde. Nun ist also auch Vietnam mit der Asienwelle im Westen angekommen. Entsprechend günstig war der Eröffnungstermin für die Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt gelegt: Am Wochenende fand in Berlin das Asem-Treffen der europäischen und asiatischen Außenminister statt. Während man dort über die Finanzkrise in der laut Joschka Fischer „äußerst dynamischen Wachstumsregion“ debattierte und sich ansonsten nicht so ganz über die Menschenrechtsfragen einigen konnte, durfte Ludger Volmer als Staatsminister im Auswärtigen Amt zur Vernissage die Kunst als Symbol der Annäherung begrüßen.

Sex, Neonazis und Karaoke

Dabei ist Berlin ein wenig in der Bringschuld, schließlich wurden hier Süd- und Nordvietnamesen in den siebziger Jahren je nach politischer Couleur über die Stadt verteilt. Im Westen nahm man die Kriegsflüchtlinge aus dem Süden auf, der Ostteil wiederum holte sich Vertragsarbeiter aus dem befreundeten kommunistischen Norden. Nach der Wiedervereinigung war allerdings niemand mehr allzu sehr an den Gästen interessiert. Von Vietnamesen ist nur noch im Zusammenhang von Zigarettenmafia und Abschiebung die Rede.

Die Ausstellung versteht sich dennoch nicht als repräsentative Maßnahme, sondern als Workshop. Drei Wochen vor Beginn kamen die ersten KünstlerInnen, von denen ohnehin ein Teil nachkriegsbedingt in der „Diaspora“ zwischen Frankreich und den USA aufgewachsen ist, um vor Ort ihre Installationen auszuarbeiten. Der 27jährige Nguyen Van Cuong ist bei seinen Recherchen im Stadtraum auf allerlei Sexplakate und sonstige Unbilden des Westens gestoßen, weshalb er eine meterlange Wand im Stil von Propagandapostern mit nackten Frauen, Kapitalisten à la Georg Grosz und Slogans wie „Neo Nazi Karaoke“ gestaltet hat. Die meisten anderen Beteiligten haben sich dagegen mehr mit ihrem komplexen Verhältnis zur eigenen Vergangenheit beschäftigt. Immerhin versammelt „Gap Viet Nam“ (was in etwa mit „Begegnung Vietnam“ zu übersetzen ist) fast ausschließlich Jahrgänge um 1970, deren Kindheit von den Greueltaten des Krieges und der nicht minder großen Apathie in den ersten Friedensjahren geprägt wurde. Es sind Bilder aus einem beschädigten Leben, die allerdings nicht die Beschädigung instrumentalisieren, sondern sich für einen Neuanfang in den neunziger Jahren stark machen.

Den Anstoß für einen nicht bloß rückwärtsgewandten Umgang mit der eigenen Biographie gab der 1963 in Hanoi geborene Truong Tan. Als erster vietnamesischer Künstler bekannte er sich in Bildern und Performances zur Homosexualität. Anstoß daran nahmen die offiziellen Stellen aber erst, als Truong Tan gemeinsam mit einem US-amerikanischen Freund in der Red River Gallery Hanoi ausstellte: Seine Gemälde wurden entfernt, dem Künstler blieb nur übrig, die Zensur auf 24 Blättern mit dem Satz „Xin lôi“ – „Entschuldigung“ – kenntlich zu machen. Gegen solcherart konzeptuellen Widerstand hatte der Staat nichts einzuwenden. Später führte Truong Tan seinen passiven Kampf gegen das System mit Sprachspielen fort: In Bildern tauchten Sätze auf wie „listen rock music – but don't dance“ – Paradoxien eines totalitären Systems. Nun zeigt Truong Tan in Berlin ein reduziertes Environment aus weißen und schwarzen Kissen, auf die er sein Konterfei gedruckt hat. Daneben erinnert ein Video an die früheren Aktionen: „Don't touch me“ steht auf seinem starr gefilmten Bauch geschrieben.

Mittlerweile hat sich der Druck der kommunistischen Regierung jedoch merklich gelöst. Alle KünstlerInnen konnten ohne Visa- Genehmigungen nach Berlin reisen, und auch die Kunstwerke suchen nicht den offenen Streit mit dem System. Die Arbeiten sind sehr subtil auf der Ebene subjektiver Eindrücke und Erfahrungen angesiedelt: Wenn Le Thua Tien in einem Video erstarrte Zuschauer vor einer Projektion von Dokumentaraufnahmen des Vietnamkrieges zeigt, dann soll sich darin die Versteinerung der Geschichte widerspiegeln – im Gegensatz zu der Verdrängung durch die diversen Modernisierungsschübe der letzten Jahre. Bei Remy Gastambide hat sich der Konflikt bis in die Jetztzeit gehalten: Auf großformatigen Farbfotos sieht man die Kinder von unbekannten Müttern und schwarzen GIs. Gastambide ist selbst als „Amerasian“ von einer französischen Familie adoptiert worden. Seine Protagonisten werden dagegen noch immer wie Aussätzige als „Staub des Lebens“ behandelt. „Wir sind Teil der grausamen Geschichte Vietnams“, so das Resümee des 30jährigen Fotografen, „der Krieg hat uns geboren, und nun sind wir die absoluten Verlierer... Wir sind anders, aber ohne inneren Zusammenhalt: Resultat des berühmten amerikanischen Schmelztopfes, ausgelagert in Südostasien.“

Zigarettenhandel im globalen Diskurs

Alisa Lieuh-Anh Kottmair sucht auf dem entgegengesetzten Weg nach Identität: Sie reagiert mit konzeptuellen Fotografien auf die hiesige Gemengelage. Auch bei Kottmair knallen die Klischees gegeneinander: Ein Video zeigt, wie sie auf einer Berliner Straße – frei nach Joseph Beuys' „Ausfegen“- Aktion am 1. Mai 1972 – Zigaretten der Marke „Tourism“ an Passanten verkaufen will. Nach einer Weile hatte sie jedoch keine Lust mehr auf Handeln: „Die Leute konnten die Zigaretten umsonst mitnehmen, wenn sie sich mit mir über die Situation der Vietnamesen in Berlin unterhalten wollten“, erklärt sie einer Feuilleton-Kollegin. Dann muß sie sich mit dichtem, schwarzem Zopf für ein Pressefoto vor der Arbeit aufbauen. Einigermaßen grimmig schaut sie in die Kamera: Normalerweise trägt Kottmair blond gefärbte Stoppelhaare, doch die Perücke paßt offenbar gut ins Bild vom Anderen. Immerhin hat sie auch dieses Image selbst produziert.

Bis 9.5., Haus der Kulturen der Welt, Berlin. Katalog: 18 DM