Gefährliche Wahl in Nepal

Guerilla ruft zu Boykott auf und mordet Politiker. Wirtschaftslage großer Bevölkerungsteile verzweifelt  ■ Von Bernard Imhasly

Delhi (taz) – In Nepal gibt es in diesem Mai gleich zwei Wahltage zum selben Thema: die Ermittlung der Abgeordneten für die Volkskammer. Am Sonnabend endete die Anmeldefrist für Kandidaten. Der Doppeltermin am 3. und 17. Mai ist notwendig, damit der Staat am Wahltag die nötige Sicherheit gewährleisten kann. Denn die maoistische Guerillabewegung des Landes hat zum Wahlboykott aufgerufen und ihrer Drohung mit Morden an Politikern Gewicht verliehen.

Die abtretende Regierung unter Premierminister G. P. Koirala aus der Partei Nepali Congress ist bereits die sechste seit den Wahlen von 1994. Die Instabilität ist das Resultat mangelnder Mehrheiten im 205köpfigen Parlament, und die Parteien hoffen, daß die Wähler diesmal ein eindeutiges Mandat erteilen werden.

Der Nepali Congress macht sich am meisten Hoffnungen auf die Regierungsbildung, weil ihr großer Gegner, die Kommunistische Partei, sich im letzten Jahr gespalten hat. Aber auch die Kongreß-Partei ist alles andere als geeint. Es ist fraglich, ob Spitzenkandidat K. P. Bhattarai die Partei hinter sich scharen kann. Auch die kleinen Parteien – die ehemalige monarchistische RPP und die Sadbhavana-Partei – hoffen, weiterhin mitzureden.

Doch bevor sich die Parteien nach dem Wahlverdikt wieder zusammenraufen werden, müssen sie die Wahl hinter sich bringen. Die maoistische Guerilla, die vor drei Jahren einen Volkskrieg erklärt hat, hat die Wahlkampferöffnung in 56 der insgesamt 205 Wahlkreise verhindert. Am 8. März erschossen sie in West-Nepal einen UML-Politiker, drei Tage später ereilte sieben Parteihelfer das gleiche Schicksal. Weitere sieben Personen starben in einem Gefecht zwischen Polizei und Guerilla in Rukum, ebenfalls im Westen des Landes.

Die Gewalt beschränkt sich zwar bisher auf die Randgebiete, aber die Polizei fürchtet eine Ausweitung auf das Tal von Katmandu. In einem Brief an die diplomatischen Vertretungen warnte das Innenministerium kürzlich davor, nach sieben Uhr abends das Haus zu verlassen.

600 Menschen sind dem Kleinkrieg seit Februar 1996 zum Opfer gefallen. Besonders seit dem Beginn der Polizei-Operation „Kilo Sera“ im Mai vorigen Jahres ist die Zahl der Opfer auf der Seite der Guerilla und ihrer Sympathisanten rasch gestiegen. In einem Bericht hat amnesty international vor kurzem beiden Seiten systematischer Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen, darunter „Folter, Vergewaltigung und politischer Mord“. Zahlreiche Sympathisanten der Guerilla seien verschwunden oder außergerichtlich liquidiert worden.

Die Regierung Koirala hat mehrmals eine Amnestie angekündigt, falls die Maoisten der Gewalt abschwören. Doch diese fordern als Vorbedingung die Absetzung des Königs und eine republikanische Verfassung. In einem 40-Punkte-Manifest erläuterte der Maoistenführer Baburam Bhattarai im Februar 1996 sein Ziel einer Bauernrepublik, in der die Großgrundbesitzer enteignet werden.

Das Aufkommen der Untergrundbewegung ist vor allem auf die verzweifelte Wirtschaftslage in Nepal zurückzuführen. Die Liberalisierung nach 1991 verschärfte die sozialen Gegensätze, produzierte aber nicht genügend Wachstum, um sie zu glätten. Zwischen 1992 und 1995 wuchs das Bruttosozialprodukt um fünf Prozent, fiel aber im vorigen Jahr auf 1,9 Prozent zurück – viel zuwenig für die 22 Millionen Nepalesen, deren Zahl jährlich um 2,4 Prozent steigt. 40 Prozent leben in absoluter Armut. Der Zollabbau hat die Staatseinnahmen auf zehn Prozent des Sozialprodukts gedrückt und die nötigen Sozialinvestitionen verhindert. Gleichzeitig hat die massive Korruption zu einer Senkung der Entwicklungshilfe geführt. Hinzu kommen die häufigen Wechsel der Regierungen – die sich statt um das Land mehr um ihr eigenes Überleben kümmern.