SPD-Linke: Die Stimmung kippt

In der SPD mehren sich Stimmen gegen die Nato-Angriffe. Rechtliche Grundlagen des Einsatzes in Jugoslawien werden nunmehr angezweifelt. SPD-Linke verzichtet aber auf Antrag, die Angriffe zu beenden  ■ Aus Bonn Markus Franz

In der SPD mehren sich die Stimmen, die eine Einstellung der Nato-Angriffe befürworten. Namhafte SPD-Politiker wie der frühere Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau und der saarländische Ministerpräsident Reinhard Klimmt sprechen sich gegen das Vorgehen der Nato und der Bundesregierung aus. Einige SPD- Abgeordnete meinen bereits, einen breiten Stimmungsumschwung innerhalb der SPD festgestellt zu haben. Andere bestreiten das. Der Parteilinke Hermann Scheer ist der Ansicht, daß „unausgesprochen“ alles in Richtung Waffenstillstand hindeute. Er habe den Eindruck, daß es eine „tiefe Skepsis“ hinsichtlich der Nato-Angriffe gebe. „Die Stimmung“, sagt Scheer, „ist gekippt.“

In den Gremien der SPD wurde am Montag kontrovers diskutiert. Der saarländische Ministerpräsident Reinhard Klimmt wies darauf hin, daß das Ziel der Nato, eine humanitäre Katastrophe zu vermeiden, nicht nur verfehlt worden, sondern sogar ins Gegenteil umgeschlagen sei. Der ehemalige Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau sagte in Bezug auf die Diskussion über den Einsatz von Bodentruppen: Wer A sage, müsse auch B sagen. Wer aber B nicht sagen wolle, dürfe auch nicht A sagen.

Im Parteivorstand wurde auch die rechtliche Grundlage des Kosovo-Einsatzes angezweifelt. Der Bundestag hat zwar am 16. Oktober mit überwältigender Mehrheit einem Einsatz zugestimmt, aber, so meinen SPD-Abgeordnete wie Hermann Scheer, unter anderen Voraussetzungen als jetzt. Im Oktober ging es darum, ob die Nato eingreifen soll, wenn die Vertreibung der Kosovo-Albaner weiter fortgesetzt wird. Damals waren etwa 70.000 Menschen geflüchtet, die später wieder in ihre Häuser zurückkehren konnten. Nun geht es der Nato darum, die Unterschrift unter den Friedensvertrag von Rambouillet und damit auch die Stationierung von Nato-Truppen im Kosovo zu erzwingen. Dieses Ziel, so Scheer, sei durch den Beschluß des Bundestags vom 16. Oktober nicht gedeckt. Schließlich sei damals von Rambouillet noch gar nicht die Rede gewesen.

Vor fünf Tagen hatten sieben Parteilinke einen Aufruf unterzeichnet mit der Überschrift: „Bomben lindern keine Katastrophen“. Am Montag abend diskutierten die Parteilinken darüber, ob sie für den Parteitag am 12. April einen Antrag auf Beendigung des Krieges stellen wollen. Die Meinung war uneinheitlich. Aus taktischen Gründen wurde zunächst darauf verzichtet. Wenn man zur falschen Zeitpunkt einen Antrag stelle, hieß es, bestehe die Gefahr, daß sich Solidarität zur anderen Meinung aufbaue. Die Mehrheit könne dann plötzlich als Minderheit dastehen.

Daß tatsächlich eine Mehrheit in der SPD für eine bedingungslose Beendigung der Nato-Angriffe sei, wird aber bestritten. Verteidigungsminister Rudolf Scharping sagte gestern: Er habe Verständnis für interne Diskussionen. Aber weder mit Blick auf das Parlament noch auf die Bevölkerung könne man sagen, daß sich an der Unterstützung für den Nato-Einsatz etwas geändert habe.

Ein Teilnehmer der Gremiumssitzungen vom Montag sagt: „Alle, die da saßen, waren erschüttert über die Situation, aber nicht darüber, daß die Entscheidung für die Nato-Angriffe getroffen wurde, sondern, daß sie getroffen werden mußte.“ Die Stimmung wird trotz der kontroversen Ansichten als ruhig und diszipliniert beschrieben. Es werde nicht geeifert. Jeder respektiere die Meinung des anderen. Die von Verteidigungsminister Rudolf Scharping vorgetragenen Schilderungen über die Greueltaten der Serben im Kosovo machten Eindruck.

Die stellvertretende Parteivorsitzende Renate Schmidt betonte, daß angesichts des Krieges zum Glück niemand in Freude verfalle. Sie sei stolz auf die Bevölkerung, die den Ernst der Lage verstanden habe. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wolfgang Clement und die Entwicklungshilfe- Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul wiesen darauf hin, daß mehr an die Flüchtlinge gedacht werden müsse. Dafür müßten Finanzen lockergemacht werden. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Michael Müller bestreitet ein grundlegendes Umdenken in der Partei über den Krieg im Kosovo.