Rußland ist wieder im politischen Geschäft

■ Mit dem Besuch von Primakow in Belgrad meldet sich die einstige Weltmacht zurück

Rußlands Premier Jewgeni Primakow hat zweifellos bessere Chancen, Slobodan Milošević zu Zugeständnissen zu bewegen als ein westlicher Spitzenpolitiker. Dennoch, auch der ehemalige russische Geheimdienstchef ist nicht im Besitz übersinnlicher Kräfte. Was auch nicht übersehen werden sollte: liegt dem Russen, dem die Amerikaner despektierlich vorgeführt haben, wieviel die Stimme der ehemaligen Supermacht noch zählt, daran, den Krieg durch einen Blitzfrieden zu beenden?

Legitimerweise wird Moskau versuchen, von der Statisten- in die Hauptrolle zu schlüpfen. Der Sowjetapparatschik Primakow hat dem alten System nie abgeschworen und versteht glänzend, die sowjetische Klaviatur der eingeschränkten Berechenbarkeit zu bedienen. Überdies verharrte sein Denken in überkommenen geopolitischen Kategorien, das den unmittelbaren Machtfaktor höher bewertet als Wirtschaftskraft.

In Belgrad dürfte sich Nahostspezialist Primakow damit zufriedengeben, Milošević' Kompromißbereitschaft auszuloten. Wäre der Serbe bereit, sobald er die Garantie des Westens erhielte, Angriffe auszusetzen, seine Exekutionskommandos im Kosovo zu stoppen? Weder Milošević noch Primakow haben es eilig. Jede weitere Nato-Schlappe stärkt Rußlands Position. Wäre Moskau zynisch, würde es warten, bis sich der Westen in Serbien in ein zweites Vietnam verrennt, schrieb die Zeitung Sewognja.

Allerdings sind dieser Strategie Grenzen gesetzt. Der Balkankonflikt hat die russische Innenpolitik dynamisiert. Kommunisten und Nationalisten versuchen, die Macht an sich zu reißen. Soweit reicht die Sympathie des kühlen Strategen Primakow gegenüber den kommunistischen Traumtänzern wiederum nicht. Der frühere Außenminister weiß sehr wohl, wo die russische Leistungsfähigkeit an ihre Grenzen stößt.

Gelingt es Primakow, den balkanischen Knoten zu lösen, würden die Russen ihn zum neuen „vaterländischen Helden“ erheben. Ohnehin hat der 68jährige Präsident Boris Jelzin längst ausgestochen. Seit Primakow nach der Augustkrise 1998 als Kompromißkandidat Ministerpräsident wurde, ruht das politische Alltagsgeschäft auf seinen Schultern – zum großen Unbehagen von Jelzin. Mehrfach stand Primakows politische Zukunft auf der Kippe. Immerhin gelang es dem Premier, die Kommunisten an die Zügel zu nehmen, auf deren Unterstützung im Parlament er angewiesen ist. In Umfragen rangiert er neben Moskaus Bürgermeister Luschkow als aussichtsreichster Thronprätendent bei den Präsidentenwahlen 2000.

Woher diese Popularität? Weder tat er sich durch Entschlußkraft hervor noch durch Visionen oder Tatendrang. Im Gegenteil: Primakow ist ein Verwalter des Stillstands. Seine Wahrnehmung in der Öffentlichkeit läßt sich indes leicht erklären. Er wirkt seriös, nicht korrupt, vertritt die Interessen des Landes zumindest verbal mit Nachdruck, ist kein Zyniker und gehört nicht zu den Freunden der räuberischen neurussischen Nomenklatura. Daß die mangelnde Initiative unterdessen den Interessen der alten Nomenklatura wohl zupaß kommt, wird von der Nostalgie und der Sehnsucht nach sauberen Westen übersehen.

Wo der gosudarstwennik, so nennen Russen Politiker, die zuvorderst das Wohl des Staates im Auge haben, gesellschaftspolitisch zu verorten ist, hat er nie preisgegeben. Mit Beginn der neuen Balkankrise ordnete er an, „die inneren Ressourcen maximal zu mobilisieren“ und Voraussetzungen für eine effektive Verteidigungsbereitschaft zu schaffen. Doch wie gesagt: Primakow beherrscht die Klaviatur der Sowjetdiplomatie. Und Blufff gehört dazu, um so gefügiger verhält sich der Westen. Der IWF rang sich vorgestern zu einem neuen Kredit durch. Klaus-Helge Donath