Nato in Erklärungsnöten

■ Brüssel: Luftangriffe können nicht so schnell erfolgreich sein. Bombardements jetzt „rund um die Uhr“. UNHCR: Vertreibungen waren lange geplant. EU-Kommissarin Bonino: „Das Dramatischste ist das, was man nicht sieht“

Brüssel/Bonn (AFP/dpa/taz) – Nach den nächtlichen Bombardements der vergangenen Tage wird die Nato jetzt „rund um die Uhr“ Luftangriffe gegen Jugoslawien fliegen. Nato-Luftwaffengeneral David Wilby erklärte gestern in Brüssel, die Angriffe würden sich weiter gezielt gegen jugoslawische Militär- und Polizeieinheiten im Kosovo richten. Ungewiß blieb gestern, ob die Vermittlungsreise des russischen Ministerpräsidenten Jewgeni Primakow nach Belgrad einen neuen Weg für eine politische Lösung eröffnen würde.

Der Erfolg der Luftangriffe bleibt vor allem in humanitärer Hinsicht umstritten. Die Verantwortlichen bei der Nato in Brüssel beeilen sich darum zu versichern, die Aktion könne nicht bereits nach wenigen Tagen erfolgreich sein. Nato-Generalsekretär Javier Solana betont unablässig, die serbischen Vertreibungen der Kosovo- Albaner hätten schon vor langem begonnen. Ein Nato-Diplomat in Brüssel räumte gestern gegenüber AFP ein, es sei ein „großes Kommunikationsproblem“, daß die Nato als Ziel ihrer Angriffe die Verhinderung einer „humanitären Katastrophe“ genannt habe. Die deprimierende Entwicklung im Kosovo offenbare die „Lächerlichkeit“ dieser Darstellung. Seit die Beobachter der OSZE und die westlichen Diplomaten aus dem Kosovo abgezogen wurden, können die jugoslawischen Sicherheitskräfte praktisch unter Ausschluß der Öffentlichkeit brandschatzen, vertreiben und morden.

„Wir glauben, daß es eine gut organisierte Kampagne zur ethnischen Säuberung gibt“, erklärte auch Kris Janowski vom UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. So sei etwa die lange Zeit gesperrte Grenze zwischen dem Kosovo und Albanien vor kurzem von den Serben geöffnet worden. Dies mache deutlich, daß die Flucht der Kosovo-Albaner in diese Richtung gewollt sei.

Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) warf den serbischen Einheiten gestern vor, sie gingen mit einer „außerordentlich zynischen Methode“ vor. Es lägen Informationen vor, wonach die Serben die kulturelle Elite der Kosovo- Albaner vernichteten. Die EU-Kommissarin für humanitäre Hilfe, Emma Bonino, sagte gestern: „Das Dramatischste ist das, was man nicht sieht. Das heißt, das Schicksal der 1,2 Millionen Kosovo-Albaner, die noch im Kosovo sind und von denen es keine Bilder, keine Information gibt.“ pat/sev