Tod und Leben, Bühne und Leinwand

Wie das Theater den Film beeinflußt hat: In Zusammenarbeit mit der Uni Hamburg präsentiert das Abaton die Reihe Schaulust  ■ Von Malte Hagener

Früher, so erfährt man gelegentlich von älteren Semestern, gab es universitäre Filmclubs, die nicht nur feine Reihen zeigten, sondern auch den Brauch der Einführung pflegten, bei dem Werke in ihrer künstlerischen, gesellschaftlichen oder filmhistorischen Bedeutung eingeordnet und nach der Vorstellung kontrovers diskutiert wurden. Was noch in den 70er Jahren ganz normal war, scheint heutzutage völlig aus der Mode gekommen zu sein – und den Mantel des Schweigens legen wird über die unsägliche Reihe namens „Uni-Film“, deren Macher sich nicht entblöden, alljährlich unter burschenschaftlichem Säbelrasseln mit der Feuerzangenbowle der guten alten Produktionszeit des Films zu gedenken, dem Jahr 1944 also.

Lobenswert ist dagegen die Initiative des Abatons und des sprachwissenschaftlichen Seminars der Universität, diese verschüttete Tradition wieder aufleben zu lassen. Unter dem Titel „Schaulust – Übergänge und Anregungen zwischen Theater und Film“ läuft bis Juli eine Vortragsreihe an der Uni und eine bunt gemischte Serie von Arbeiten, die unter unterschiedlichsten Gesichtspunkten diskutiert werden. Nun geht es aber keineswegs nur um Adaptionen oder um die Beeinflussung der Leinwand durch Bühnentechniken, sondern der Rahmen ist von Fritz Lang bis W. C. Fields, von Tennessee Williams bis Tom Tykwer weit gespannt. Und da die Vortragsreihe durchweg von jungen Promovenden bestritten wird, die auch selbst die Kino-Einführugen geben, kann man auf neue Impulse hoffen. Was weder dem Kino noch der Filmwissenschaft schaden kann. Den ersten Teil bestreiten vor allem Klassiker der Weimarer Republik, die zwar bekannt sind, aber unter neuem Blickwinkel zu einer Wiederbegegnung einladen.

Klassiker erkennt man bekanntlich daran, daß sie Legenden schaffen, die sich hartnäckig halten, egal wie oft sie widerlegt werden. Den Locus classicus für die deutsche Filmgeschichte bildet Robert Wienes Das Cabinet des Dr. Caligari, jener als expressionistisch apostrophierte Film aus dem Jahr 1919, der mehr kurioses Einzelstück als stilbildender Auslöser einer Bewegung, eher ein Produkt von Produktionszufällen als ein geplanter Geniestreich war. Der Kriminalreißer im Jahrmarktsmilieu über einen Schausteller, der sein hypnotisiertes Medium zum Morden zwingt, fasziniert seit seiner Entstehung durch die verzerrte Kulissenwelt, die einen anti-naturalistischen Filmraum schafft.

Die umstrittene Rahmenhandlung gehörte von Anfang an zu den Entwürfen der beiden Autoren, Hans Janowitz und Carl Mayer, sie kam nicht erst später dazu, wie der Filmhistoriker Siegfried Kracauer behauptete. Seine These, ein eigentlich revolutionäres Drama, das die Allmacht einer Staatsautorität brandmarken wollte, sei durch einen versöhnlichen Rahmen in ein staatstragendes Stück verwandelt worden, diente ihm als Sprungbrett für sein epochemachendes Buch Von Caligari zu Hitler über die proto-faschistische Geisteshaltung der deutschen Bevölkerung.

Ähnlich dem Caligari wird auch Fritz Langs M – Eine Stadt sucht einen Mörder eine Vorahnung des Faschismus zugesprochen, nicht zuletzt da der Regisseur bemüht war, seine historische Rolle retrospektiv in diese Richtung zu drehen. Die Bedeutung des Films liegt dann auch weniger in seinem politischen Gehalt, der viele entgegengesetzte Lesarten zuläßt, sondern in der Virtuosität, mit der filmischer Raum und Ton zusammengebracht werden.

Und während man sich nach M schuldbewußt mit einem Motiv aus Edvard Griegs Peer Gynt, das der Kindermörder im Film pfeift, auf den Lippen ertappt – angeblich stammt das Pfeifen auf der Tonspur von Regisseur Lang selbst –, schmettert man nach Kuhle Wampe Hanns Eislers Hit „Vorwärts und nicht vergessen“. Der Film soll schon hartgesonne und unmusikalische Anti-Kommunisten in Revolutionsbarden verwandelt haben. Die Nazis verboten dann nicht nur den offen kommunistischen Film, der überhaupt erst nach langen Zensurkämpfen freigegeben worden war, sofort nach ihrem Machtantritt – sie klauten auch Grundstruktur und Schlüsselszenen für ihren ersten großen faschistischen Propagandastreich Hitlerjunge Quex.

Das Cabinet des Dr. Caligari : Mi, 7. April, 20.30 Uhr (mit einer Einführung von Stefan Andriopoulos). Kuhle Wampe: Do, 15. + Fr, 16., 16 Uhr; So, 18. April, 11 Uhr (mit einer Einführung von Oliver Mörbert). M – Eine Stadt sucht einen Mörder: Do, 22., 15.30 Uhr; Fr, 23., 17.30 Uhr; So, 25. April, 11 Uhr (mit einer Einführung von Mireille Gravensande). The Old Fashioned Way: Do, 29. + Fr, 30., 16.15 Uhr; So, 2. Mai, 11 Uhr (mit einer Einführung von Christian Maintz), Abaton