Angriff des Lauschers

■ Mit „Focus“ zeigt Isaka Satoshi, was passiert, wenn Reality TV selbst das Opfer wird

„Willkommen in der Selbstreferentialität!“ verkündet die erste Einstellung. Eine Kamera fährt an einer zweiten entlang, umspielt deren mächtiges Objektiv, bringt schließlich den Bildausschnitt im eigenen Sucher mit dem der zweiten Kamera zur Deckung, als gelte es, eine Art optische Ehe zu vollziehen. Noch ehe der Vorspann beginnt, hat „Focus“, das Debüt des japanischen Regisseurs Isaka Satoshi, schon signalisiert: Hier geht es um einen Film über das Filmen.

Genauer gesagt: um einen Film über das Reality TV und darüber, wie es die Katastrophe erst heraufbeschwört, die es scheinbar wirklichkeitsgetreu abbildet. Um dies zu zeigen, wählt Satoshi eine pseudodokumentarische Form: Die Bilder, die der Zuschauer sieht, werden von der Fernsehkamera produziert, die am Anfang ins Bild rückt. Sie gehört zu einem Fernsehteam, das eine Reportage über den jungen Einzelgänger Kanemura (Asano Tadanobu) drehen will. Dessen Hobby ist es, Telefonate abzuhören. Ob Yakuza-Talk, Polizeifunk oder Telefonsex: Kanemura hört mit und denkt sich nichts Böses dabei. Schließlich wisse ja niemand, daß er belauscht werde, so seine Rechtfertigung des Eingriffs in die Privatsphäre anderer Leute. Und außerdem bleibe das Mithören ohne Folgen.

Wäre da nicht der ehrgeizige Fernsehjournalist Iwai (Shirai Akira). Der weiß, was TV-Boulevard-Magazine täglich aufs neue belegen: Gute Storys sind dünn gesät, und bisweilen muß man etwas nachhelfen, um Sensationsgier und Voyeurismus zu befriedigen. „Die wenigsten Leute denken, daß das Fernsehen die Realität widerspiegelt“, sagt er und nimmt dies als Rechtfertigung, Kanemuras Geschichte gegen dessen Widerstand so voranzutreiben, daß sie möglichst action- und temporeich ausfällt. Zu dieser Inszenierung gehört es dann auch, daß dem Abhören Taten folgen. Ehe Kanemura sich versieht, hat er eine Waffe in der Hand, und wie das mit Waffen so ist: Sind sie erst einmal da, wollen sie auch benutzt werden. Darin unterscheiden sie sich nicht von der Kamera des Fernsehteams, die, ist sie erst einmal vor Ort, auch angeschaltet wird. Egal wie oft Iwai zuvor beteuert hat, daß nicht gefilmt werde.

Und während der Journalist noch glaubt, eine exzellente Story zu bekommen, wendet sich die eigene Inszenierung schon gegen ihn. Die Rollen vertauschen sich, Kanemura übernimmt die Regie und läßt die Macher des Reality TVs zu dessen Akteuren werden: Plötzlich sind sie Opfer ihrer eigenen Sensationsgier. Und können im Polizeifunk verfolgen, wie nach ihnen gefahndet wird. Cristina Nord

„Focus“. Regie: Isaka Satoshi. Mit: Asano Tadanobu, Shirai Akira, Unno Keiko u.a. Japan 1996, 73 Min., OmU, ab 1.4. im fsk-Kino