„Integration ist wie Tangotanz“

Bei einer Diskussion zum Doppelpaß zeigt sich SPD-Abgeordneter enttäuscht vom Entwurf der Bundesregierung, will aber zustimmen. Türken fühlen sich ausgegrenzt.    ■ Von Carsten Beyer

Auch der Jugoslawienkrieg hat das Thema „Doppelte Staatsbürgerschaft“ noch nicht ganz aus den Köpfen der BerlinerInnen verbannt: Das zeigte sich am Dienstag abend bei der Podiumsdiskussion des „Berliner Gesprächsforums zur Migrationspolitik“ in den Räumen der Heinrich-Böll-Stiftung am Hackeschen Markt. Trotz der geradezu epischen Länge der Veranstaltung – die angesetzten 4 Stunden reichten kaum aus – hatten sich gut 50 BesucherInnen eingefunden. Auf dem Podium saßen die üblichen Verdächtigen aus Politik, Wissenschaft und Praxis; leider war auch diesmal kein CDU-Vertreter mit von der Partie.

Dennoch beschränkte sich die Runde nicht auf gegenseitige Zustimmung: Der vom Bundesinnenministerium vorgelegte Kompromißvorschlag sorgt auch innerhalb des linksliberalen Spektrums für genügend Zündstoff. Zwar begrüßten alle Gesprächsteilnehmer auf dem Podium den Einstieg in den Ausstieg aus dem antiquierten Ius sanguinis, das in Deutschland traditionell Abstammung über Geburtsort stellt, sehr unterschiedlich fiel allerdings die Einschätzung der sogenannten Optionsregelung aus. Danach müssen sich hier geborene Kinder von Ausländern nach ihrem 23. Lebensjahr für eine Staatsbürgerschaft entscheiden.

So nannte der Kreuzberger SPD-Bundestagsabgeordnete Eckhardt Barthel das Kompromißpapier seiner Partei eine „Enttäuschung“, kündigte aber gleichzeitig an, im Bundestag für die Vorlage stimmen zu wollen. Entscheidend sei die erstmalige Einführung des Territorialprinzips im deutschen Einbürgerungsrecht, für Barthel ein „geradezu revolutionärer Vorgang“. Außerdem sieht er in dem geplanten Gesetz nur den Einstieg in eine neue Rechtsauffassung und keineswegs schon das Ende der Staatsbürgerschaftdiskussion.

Die türkischen Interessenvertreter gingen mit den Schily-Plänen sehr viel härter ins Gericht: Die Charlottenburger Ausländerbeauftragte Azize Tank zeigte sich enttäuscht über das „schnelle Einknicken der Bundesregierung“ nach der Hessenwahl.

Safter Cinar vom Türkischen Bund Berlin-Brandenburg nannte das Regierungsvorhaben gar ein „Türkenausgrenzungsgesetz“, das die jetzige Situation noch verschlechtern werde. Vor allem die Integration der ersten Einwanderergeneration habe man damit „faktisch aufgegeben“.

Besonders empört zeigte sich Cinar darüber, daß nun auch das Hintertürchen der vorübergehenden Ausbürgerung aus der Türkei geschlossen werde, mit dem sich in der Vergangenheit viele pragmatisch denkende Landsleute auf Umwegen den Doppelpaß besorgt hatten: „Das hat sich noch nicht mal Helmut Kohl getraut!“

Auch die vom mitveranstaltenden Berliner Institut für Vergleichende Sozialforschung eingeladenen Politologen Jochen Blaschke und Werner Winter konnten die laut Programm erwünschte unaufgeregte Diskussionsatmosphäre kaum wiederherstellen. Sie versuchten zwar die Staatsbürgerschaftsregelung in eine historische beziehungsweise international vergleichende Perspektive zu stellen, die Frage, woher die „quasireligiöse“ Verehrung der Deutschen für ihre ehemals grünen und heute roten Pappen stammt, konnten aber auch sie nicht so recht beantworten.

Praktische Erfahrungen mit der Binationalität könnten da schon eher ein wenig Entspannung in das verkrampfte Verhältnis zur staatlichen Identität bringen. Die sogenannten Binationalen, Kinder, deren Eltern aus zwei verschiedenen Ländern kommen, „benutzen den Paß wie eine Scheckkarte ganz pragmatisch, um Geld zu kriegen oder eine Krankenkassenleistung“, berichtete Brigitte Wießmeier vom Verband für binationale Familien und Partnerschaften. „Diese ganzen Komplikationen, die in den Köpfen der Politiker herumschwirren, kennen diese Kinder gar nicht.“

Etwas blumiger formulierte es ein türkischer Besucher in der abschließenden Diskussion. Integration sei wie ein Liebespaar beim Tangotanz, meinte der junge Mann: Man müsse auf jeden Schritt des anderen eingehen, damit es geschmeidig wirkt. Nur daß die Deutschen eben leider nicht so gerne tanzten.