Bomben statt Revolution

■ Die Belgrader Opposition hat vor drei Jahren das Internet zu ihrem Medium gemacht. Davon sind heute nur Todeslisten übriggeblieben

Als im Winter 1996 von Tag zu Tag mächtigere Demonstrationen durch die Straßen von Belgrad zogen, fanden die Studenten, die zu Beginn den Protest gegen die Herrschaft von Slobodan Milošević organisert hatten, schnell einen Namen für ihren Aufstand. Sie sprachen von der „Revolution des Internets“. Über die wenigen brauchbaren Computer der Universität hatten sie Informationen, Termine und Parolen verbreitet. Schon bald folgte der Radiosender B92 mit einer Website, auf der sogar Live-Reportagen im damals nagelneuen „RealAudio“-Standard abrufbar waren. Das Schlagwort der „Internetrevolution“ ging durch alle Medien. Zum ersten Mal, so schien es, hielt das Internet, was seine Propheten versprachen. Es schien nicht nur eine technische, sondern auch eine politische Revolution auslösen zu können.

Drei Jahre danach ist weder von der einen noch von der anderen viel übriggeblieben. Als die ersten Bomben auf Belgrad fielen, durfte B92 seine Sendungen schon nicht mehr ausstrahlen. Trotzdem ist der Sender nicht verstummt. Unter www.b92.net und etlichen Spiegel- Adressen versucht die Redaktion weiterzuarbeiten. Videofilmchen mit Erklärungen von Passanten sind hinzugekommen, doch der technische Fortschritt läuft leer. Milošević' Propagandisten ihrerseits haben unter www.inet.co.yu /kamera/ eine Webkamera installiert, die zumindest noch vor kurzem verwaschene Bilder menschenleerer Straßen zeigte. Es lohnt nicht hinzusehen, und auch die Website von B92 ist nur eine Notlösung. Vermutlich wäre es für die Regierung ohnehin unmöglich, sie auf allen Rechnern im Ausland zu zensieren, aber sie versucht es gar nicht erst, weil sie diese digitale Opposition für ungefährlich hält. Die Redaktion weiß es selbst. Sie reproduziert die Meldungen der Agenturen und weist mit einer „Bitte um Vorsicht“ darauf hin, daß „unter diesen schwierigen Umständen unsere Reporter nicht aus dem Kosovo selbst berichten können“. Das möge man bei allen Nachrichten aus dieser Provinz bedenken – „auch bei unseren“.

Größer könnte die Niederlage kaum sein. Die Opposition ist in die Zwangssolidarität der Bürger eines von einem äußeren Feind angegriffenen Staates gebombt. Um das Ausmaß der Katastrophe zu ermessen, lohnt es sich nachzulesen, wie David S. Benahum im Magazin Wired die Tage und Nächte im Belgrad des Dezember 1996 beschrieb. Seine Gewährsleute erzählten ihm, daß sie zuerst in das Rechenzentrum gingen, um die Website zu aktualisieren, dann erst auf die Straße, als Milošević die Annullierung der Wahlen bekanntgab, die Auslöser der Proteste war. Benahum spekuliert mitten im Demonstrationslärm, warum die höchstens 10.000 Menschen, die damals in Jugoslawien einen Zugang zum Netz hatten, eine solche Wirkung entfalten konnten. Er kommt zum Schluß, daß es an der Grundüberzeugung aller Computerfans liege, wonach alle Informationen frei und jederzeit zugänglich sein müssen. Wie „Materie und Antimaterie“ verhalte sich dieser Geist zu jeder Art autoritären Regimes, und einmal gezündet, werde dieser Funke einen wahren Flächenbrand an Bürgerfreiheit auslösen, schreibt der Reporter, der aus Manhattan kam.

Wie ein Flächenbrand haben sich in Jugoslawien Terror und Krieg ausgebreitet. Um die Wüste der offiziellen Nachrichten aller Seiten wenigstens ein bißchen zu beleben, hat B92 seit kurzem damit angefangen, Tagebuchnotizen von Freunden online zu veröffentlichen. Sie sollen Zeugnis ablegen vom Leben unter den Bomben der Nato. Die private Betroffenheit muß die nachprüfbare Information ersetzen. Sie wird zur halben Lüge, wenn etwa eine Englischlehrerin aus Novi Sad über bombardierte Klöster und getötete Kinder schreibt, jedoch kein Wort über den Massenmord im Kosovo verlieren mag.

Weiß sie davon nichts? Im selben Internet immerhin könnte sie sehr wohl auch darüber Berichte finden, die mehr als bloße Kriegspropaganda sind. Ein „paar wenige albanische Stundenten“, so die spärliche Selbstauskunft, haben 1998 im Web ein „Kosovo Crisis Center“ eingerichtet. Unter www.alb-net.com/kcc/index.htm kann man hier täglich neue und überaus detaillierte Berichte über das Wüten vor allem der serbischen Freischärler im Kosovo nachlesen. Wenn möglich, wird der Name jedes einzelnen Toten genannt, oft aber muß auch diese Quelle darauf verweisen, daß bestimmte Dinge nur gerüchteweise bekannt seien. Zu der Frage, ob diese Greuel einen Bombenkrieg rechtfertigen, nimmt das Kosovo Crisis Center nicht ausdrücklich Stellung, und schon gar nicht kann seine bedrückende Website den Eindruck erwecken, mit dem Internet sei eine Revolution wenigstens der Informationsfreiheit ausgebrochen. Nachrichten lassen sich auf Dauer nie ganz unterdrücken, aber diejenigen, die hier stehen, kommen immer zu spät, ob sie nun zutreffen oder nicht. Sie berichten ausschließlich über Tote, und lesen kann sie im Kosovo niemand. Niklaus Hablützel

niklaus@taz.de