■ Die russische Rolle nach der gescheiterten Primakow-Reise?
: Drahtseilakt ohne Netz

Die Friedensmission Jewgeni Primakows ist vorerst gescheitert. Kein Beteiligter hatte im Vorfeld ernsthaft einen Durchbruch erwartet. Auch der erfahrene Außenpolitiker Primakow dürfte sich Illusionen kaum hingegeben haben. Überdies liegt es im russischen innen- wie außenpolitischen Interesse, den Friedensprozeß zwar anzustoßen, jedoch behutsam. Daher irritiert, wie zuversichtlich der russische Premier in Bonn eintraf und wie versteinert er es verließ. Sollte er womöglich begriffen haben, daß für eine Vermittlung zwischen Milošević und der Nato zur Zeit jegliche Grundlage fehlt und Hinhaltetaktiker nicht gefragt sind?

Es lag auf der Hand, daß Primakow, zurück im vom serbischen Fieberwahn heimgesuchten Moskau, selbst zu phantasieren begann. Den Genozid an den Albanern habe der Westen zu verantworten, während der vorgefertigte Schlachtplan der Nato keine Kursabweichungen dulde. An letzterem mag sogar ein Quentchen Wahrheit sein. Dennoch verhält sich der Russe unlauter, indem er – der es besser weiß – dem Volk die wahre Problematik der Kosovo-Tragödie verschweigt. Kein Russe weiß eigentlich, worum es geht, weil die Massenmedien mit wenigen Ausnahmen Propaganda im Sowjetstil betreiben. Den Platz der „Sowjetunion als Unterpfand des Weltfriedens“ hat nun das „moralisch überlegene“ slawisch orthodoxe Rußland eingenommen – oder gar Moskau als „Drittes Rom“? Kurzum, man wetteifert um die effektivste Methode des Selbstbetrugs.

Gerade deswegen führt an Primakow als Vermittler kein Weg vorbei. Milošević dürfte zunächst ohnehin nur den Russen akzeptieren. Innenpolitisch – und dem dient die russisch-serbische Liaison inzwischen ausschließlich – hat der Balkankrieg dem strauchelnden Land eine „russische Idee“ beschert, die alle anderen Kränkungen nichtig erscheinen läßt. Kommunisten und Nationalisten, starr den Fluchtpunkt eines Systemwechsels im Auge, profitieren unterdessen über Gebühr davon. Primakow obliegt die heikle Aufgabe, die Radikalen zu besänftigen und gleichzeitig die fragile innere Eintracht nicht aufs Spiel zu setzen. Nur in der Rolle eines parteiischen Vermittlers wird er diesen Drahtseilakt überstehen. Zudem hätte der russische Bürger nur so die Chance, die komplexeren Hintergründe des Balkankonflikts zu erfahren. Schlägt die Mission fehl oder wird Rußland ausgebootet, haben Nato-Raketen nicht nur serbische Stellungen, sondern auch die Fundamente des neuen Rußlands geschleift. Klaus-Helge Donath