Kommentar
: Alternativen statt Konsens

■ Warum der Streit um den Krieg eine Chance für die Grünen ist

Man kennt dieses Polit-Vokabular, die worthülsenhafte Sprachregelung, die routiniert von Dramatik kündet. Den Grünen stehe eine „innere Zerreißprobe“ ins Haus, „Geschlossenheit“ sei nun gefragt. Der Junggrüne Berninger legte dem Gegner der Nato-Aktion, Ströbele, sogar nahe, die Partei zu verlassen, wenn ihm die Richtung nicht passe.

Doch moralische und ideologische Konflikte löst man nicht mit Ausschlußdrohungen. Gerade in Kriegszeiten, in denen stets der Ruf nach Einheit und innerer Blockbildung ertönt, ist es eine zivile Tugend, in Alternativen zu denken. Doch die gute alte bundesdeutsche Konsens-Sehnsucht schien auch die Bündnisgrünen ins Koma befördert zu haben. Ein Außenminister, eine Partei, eine Meinung?

Nun weicht langsam die Betäubung, zaghaft entwickelt sich eine Kontroverse. Das ist gut so. Denn es gibt genug Gründe, die Nato-Intervention für verhängnisvoll zu halten. Die Bombardierungen haben die Lage der Kosovo-Albaner keineswegs verbessert – im Gegenteil. Die Nato hatte gehofft, daß Milošević sich der militärischen Übermacht schon beugen wird. Doch bis jetzt geschieht das Gegenteil: Der jugoslawische Präsident nutzt die Nato-Bomben, um die serbische Opposition zu knebeln und im Kosovo grausame Fakten zu schaffen. Was nun? Bodentruppen einsetzen oder den Rückzug antreten – das wird wohl die Debatte der nächsten Wochen sein, falls keine Verhandlungslösung gefunden wird. Beides sind Schreckensszenarien: ein Sieg Milošević' oder eine Eskalation mit unabsehbaren Risiken. Das ist die Logik dieses Krieges, der einfach zu beginnen war, aber von dem niemand weiß, wie er zu beenden ist.

Der deutsche Außenminister wird die Nato-Intervention nicht kritisieren (selbst wenn er es wollte). Die grüne Partei, die auf dem Weg war, zu einem trostlosen Fischer-Chor zu verkümmern, muß diese Chance nutzen. Begleitkompanie des Ministerflügels darf sie, bei Strafe des Untergangs, nicht sein.

Mag ja sein, daß der deutsche Pazifismus in der Bosnienfrage seinen moralischen Glorienschein verloren hat. So what? Heute geht es darum, pragmatische, wirklichkeitsfeste Alternativen zu einer Nato- Politik zu formulieren, die bestenfalls auf windigen Hoffnungen fußt. Wer, wenn nicht die Grünen, wer, wenn nicht die Reste der Friedensbewegung, ist dazu in der Lage? Stefan Reinecke Bericht Seite 2