Sorgerechtsdrama entschieden

■ Bundesverfassungsgericht spricht im Fall Tiemann der Mutter das Sorgerecht zu / Vater hatte Kinder aus Frankreich entführt

Im deutsch-französischen Sorgerechtsdrama hat der niedersächsische Gemeindedirektor Armin Tiemann seine Kinder vor dem höchsten deutschen Gericht an die Mutter verloren. Der achtjährige Matthias und seine vierjährige Schwester Caroline wurden daraufhin von der 34jährigen Cosette Tiemann-Lancelin noch am Donnerstag von Kirchdorf vermutlich nach Frankreich gebracht. Das bestätigten Tiemanns Rechtsanwalt Donald Cramer und das Kreisjugendamt Diepholz.

Die Wende in dem spektakulären Fall wurde möglich, nachdem das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde des 57jährigen Vaters gegen eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle (OLG) nicht angenommen hatte. Das OLG hatte bereits am 12. März gegen Tiemann entschieden.

Nach den Worten der Karlsruher Richter berücksichtigt die Entscheidung des OLG Celle in ausreichendem Maße das Kindeswohl, wie es das Bundesverfassungsgericht in seiner ersten Entscheidung zum Fall Tiemann im Oktober 1998 gefordert hatte. Das OLG habe die Rückführung der entführten Kinder ähnlich sorgfältig geprüft, wie dies für eine Sorgerechtsentscheidung notwendig gewesen wäre. Dabei seien die Celler Richter zu dem Ergebnis gekommen, daß dem Kindeswohl am bestem mit einer Rückführung nach Frankreich entsprochen werden könne. Eine Nachprüfung der OLG-Entscheidung sei nicht Sache des – zur Wahrung von Grundrechten berufenen – Bundesverfassungsgerichts, heißt es in der Begründung.

Das Diepholzer Jugendamt teilte mit, die Mutter habe ihre Kinder umgehend aus dem väterlichen Haus abgeholt. „Matthias und Caroline wurden unter menschenunwürdigen Umständen aus dem Haus gezerrt. Sie schrien und wehrten sich“, berichtete Anwalt Cramer. Aus dem familiären Umfeld war zu hören, daß die Geschwister von der Mutter und mehreren Begleitern „aus der Sandkiste heraus ins Nachbarhaus geschleppt“ worden seien. Die Kinder hätten keine Chance gehabt, sich umzuziehen, geschweige denn, Spielsachen oder Kleidung mitzunehmen.

Der Vater sei während der Feierstunde zu seinem 25jährigen Dienstjubiläum telefonisch vom Gericht über den Ausgang seines Verfahrens informiert worden, so Cramer. Er habe keine Chance gehabt, sich von den Kindern zu verabschieden, sagte die Kinderfrau. Die in Montoire bei Blois im Loiretal wohnhafte Mutter sei mit Sohn und Tochter abgereist und „wohl auf dem Weg nach Frankreich“.

Der Streit um die Kinder ist Teil eines Scheidungsdramas, das inzwischen mehr als ein Dutzend Gerichtsentscheidungen hervorbrachte. Die Kinder lebten zunächst mit Vater und Mutter in Kirchdorf. Zwischen den Eltern bestehen seit Januar 1997 „unerträgliche Spannungen“. Während Tiemann der Frau vorwirft, sie sei ihm gegenüber tätlich geworden, erhebt diese den Vorwurf, er habe gedroht, sie zu erschießen.

Die Mutter sah sich deswegen am 7. Juli 1997 veranlaßt, entgegen den Abmachungen mit den Kindern nach Frankreich zu reisen. Daraufhin ließ der Vater im März 1998 die Kinder in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nach Deutschland zurückentführen. Dabei wurde die Mutter in ihrem Auto von Beauftragten ihres Mannes überfallen und zum Aussteigen gezwungen.

Das OLG stellte schließlich am 12. März fest, die Kinder sollten bei der Mutter aufwachsen, weil diese besser zur Erziehung geeignet sei..

Anwalt Cramer vertrat am Donnerstag in einer Stellungnahme die Auffassung, es hätte „größere außenpolitische Probleme mit Frankreich“ gegeben, wenn das Bundesverfassungsgericht zugunsten des Vaters entschieden hätte. Außerdem hätte Karlsruhe eine dritte Instanz geschaffen für alle noch ausstehenden 20 bis 30 vergleichbaren Fälle, meinte Cramer. Weitere Gerichtsentscheidungen stünden jetzt in Frankreich bevor.

Ob und inwieweit der Vater Kontakt- und Besuchsrechte ausüben könne, hänge derzeit in der Luft. Wegen der Entführung der Kinder nach Deutschland droht Tiemann in Frankreich die Verhaftung. Die Eltern hatten vor dem OLG erklärt, sich gegenseitig ein Umgangsrecht einräumen zu wollen. dpa