Grüne in Kosovo-Frage zerrissen

■  Bei einer Diskussion über die Haltung der Grünen zum Balkan-Krieg hielten sich die Gegner und diejenigen, die die Nato-Angriffe trotz Bedenken mittragen, in etwa die Waage

Der Held des Abends ist Christian Ströbele. Als der Bundestagsabgeordnete die Stufen zum Podium erklimmt, erhält er von den rund 150 versammelten Grünen kräftigen Beifall. Der 59jährige linke Rechtsanwalt ist in diesen Tagen die Identifikationsfigur für viele, die gegen die Nato-Angriffe auf Jugoslawien sind.

Etliche Grüne, die an diesem Abend zur kurzfristig einberufenen Debatte über die Position der Grünen zum Balkan-Krieg gekommen sind, sprechen ihm ihren Dank für seinen Auftritt im Bundestag aus, vereinzelt gibt es aber auch Kritik. Von „Angriffskrieg“ könne nicht die Rede sein, wird Ströbele vorgehalten.

„Die Grünen dürfen sich nicht wegducken“, fordert er eine innerparteiliche Diskussion ein. Es dürfe nicht dazu kommen, daß der pazifistische Flügel wegbreche und die Partei nach dem Sommer ganz anders aussehe. Er bittet alle, die gegenwärtig über einen Parteiaustritt nachdenken, zu bleiben. 15 Austritte haben die Berliner Grünen seit Beginn der Angriffe registriert, zugleich 15 Eintritte.

Einen schweren Stand hat dagegen die Bundestagsabgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig, die den Nato-Einsatz verteidigt. Sie muß sich in der anfangs angeheizten Stimmung wütende Zwischenrufe gefallen lassen. Dabei spricht auch sie von „einer tragischen Wahl zwischen zwei Übeln“, der Wahl, Menschenrechtsverletzungen hinzunehmen oder Gewalt anzuwenden. „Wir sind uns im Ziel einig, daß die Menschenrechtsverletzungen imKosovo beendet werden müssen. Wir sind uns nur über die Instrumente nicht einig“, versucht sie zu vermitteln und stellt die zentrale Frage: Unter welchen Bedingungen ist der Einsatz militärischer Mittel zur Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen gerechtfertigt?

„Darauf haben die Grünen in den letzten Jahren keine Antwort gegeben“, merkt der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Jürgen Wachsmuth, selbstkritisch an. Es sei versäumt worden, die Frage von Militäreinsätzen im Zusammenhang mit der Verletzung von Menschenrechten zu diskutieren. Aber wäre dieser Krieg mit einem UNO-Mandat akzeptabler? fragt ein Mitglied. Auf diese Frage gibt es an diesem Abend keine Anwort.

Kaum ist die Debatte eröffnet, stürzen rund 20 Grüne zum Saalmikrofon. Es bildet sich eine lange Schlange, der letzte wird erst drei Stunden später zu Wort kommen. Die Zahl derer, die die Nato-Angriffe ablehnen, und derjenigen, die sie schweren Herzens mittragen, hält sich an diesem Abend in etwa die Waage. Einig ist man sich darin, daß die Angriffe schnellstmöglich beendet werden müssen und eine politische Lösung gesucht werden muß. Doch für einen bedingungslosen Stopp der Angriffe plädiert außer Ströbele niemand an diesem Abend. Die Einschätzung, die Kosovo-Albaner damit völlig den Vertreibungen und dem Morden auszuliefern, überwiegt. „Miloevic wird jede Pause nutzen, um seine militärischen Kräfte neu zu formieren“, gibt Helmut Wiesenthal zu bedenken, grünes Mitglied und Politikwissenschaftler.

Der Landesvorstand ruft die Mitglieder auf, sich an den Ostermärschen zu beteiligen. Für den 7. April wird eine Sondersitzung des Landesausschusses einberufen, um die Debatte fortzuführen. Dorothee Winden