Heinos unglückliche Liebe

■ Eine Ostergeschichte mit bemerkenswerten Veränderungen

Als ich Heino kennenlernte, sah er aus wie Ozzy Osbourne. Das kam nicht von ungefähr. Heino war Black-Sabbath-Fan. Und Heino war einer dieser Schränke, die, weil sie ausgerechnet vor einem stehen, das Bühnengeschehen immer zum rein akustischen Erlebnis werden lassen.

Mein Nebenmann Bert konnte damals, 1977, wenigstens noch wahrnehmen, daß sich die Haare der Musiker ständig in den Saiten verfitzelten. Die Akustik allein brachte es jedoch nicht, denn die Combo bot einen ziemlich faden Bluesverschnitt. Leidlich uninspiriert schrammelten die Akteure dahin, jaulten und kratzten auf den eigentlich für sinnvolle Tonerzeugung bestimmten Gerätschaften herum, daß es nicht anzuhören war. – Mein Gott, die Zeiten waren eben so.

Irgendwann brüllte Bert, die da könnten, wenn es schon „dieser plöde Blues“ sein müsse, mal einen von Ritchie Blackmore zum besten geben. Da ging ein Ruck durch die statische Fleischeinheit vor mir. Heino also drehte bei, rollte mit den Augen und röhrte im Ozzy-Osbourne-Timbre am Ende einer zweijährigen Welttournee, daß es so was ja wohl gar nicht gebe. Bert belegte seine Ausführungen mit dem Wissen um das eben erschienene Rainbow-Live-Album „On Stage“, doch Heino verharrte in bockigem Skeptizismus. So ging das einige Zeit hin und her.

Die Eindrücke wurden hinterher noch exzessiv bei Bier und Spirituosen vertieft. Heino entpuppte sich als profunder Kenner, wobei vor allem Black Sabbath und Ozzy Osbournes Solokarriere den Nukleus seiner Bemühungen um Musikverständnis darstellten. Schließlich verfügte er über eine Plattensammlung, bei deren Anblick allein uns die Augen wie Taubeneier vor der Stirn hingen. Haupt- und nebensächlich hielt er sich in einer kleinen Hausschwammkulisse auf, jobbte als Maurer und setzte jede eingenommene Kopeke augenblicklich in LPs um. Und als Bodyguard leistete er uns auf Tanz- und Konzertveranstaltungen gute Dienste. Allein seine ehrfurchtgebietende Bauchspeckeinwaage so um die 50 Pfund ließ etwaige Widersacher von weiteren Zudringlichkeiten auf der Stelle Abstand nehmen. Keine drei Schutzpolizisten hätten ihn umfassen können. Irgendwann haben wir uns dann aus den Augen verloren.

Neulich nun berichtete mir Freund Bert, er habe den Heino mal aufgesucht und glaube, an Freund Heino einige bemerkenswerte Änderungen ausgemacht zu haben. Zunächst einmal war sein Ozzy-Osbourne-Purismus ins rein Pathologische abgedriftet, Diskussionen über das Für und Wider wurden im Keim erstickt. Und dann habe der Heino dauernd auf ein arg zerzaustes und also zoologisch undefinierbares Plüschtier eingeredet. Freilich, dem Heino gehe es nicht mehr so gut: arbeitslos sei er seit Menschengedenken, lebe von 800 Eiern den Monat, komme ergo auch nicht mehr groß raus aus seinem Loch. Er, Bert, habe dann das freundschaftlich begonnene Gespräch eiligst abgebrochen, weil Heino in einen hitzigen Disput mit seinem Kuscheltier geraten sei.

Bedrohlich wurde es, als wir erfuhren, er besuche regelmäßig einen Zoohandel in der benachbarten Großstadt und habe sich über beide Ohren in einen 3.000 Mark teuren Kakadu daselbst verknallt. Sodann kreisten alle von Heinos Überlegungen darum, wie er das Geld beschaffen könne, um dieses Federvieh in seinen Besitz zu bringen. Kumpels anpumpen, Alkoholabstinenz, Platten verkaufen, sogar Arbeiten, alles wurde in Betracht gezogen. Doch was hat dieser Vogel, was Ozzy Osbourne nicht hat?

Es schien tatsächlich etwas Festes zu sein. Sein Leben schien einen wenn auch absonderlichen Halt zu bekommen. Schon hatte Heino eine Riesenliste seiner Platten und CDs (inkl. Ozzys Gesamtwerk) erstellt und in einschlägigen Metal-Magazinen offeriert. Nicht daß wir gelacht oder Scheibenwischerbewegungen vor unseren müden Augen vollführt hätten. Nein, wir machten uns Sorgen. Immerhin ging eine ganze Latte Fahrgeld (plus Vogelfutter) für seine täglichen Rendezvous mit dem Kakadu drauf. Nur daß er kurz davor war, das Geld zusammenzuhaben, sickerte durch. Das war gleich nach Weihnachten. Für vor Ostern hatte Heino den großen Coup geplant. Inzwischen war er auf Normalmaß zurechtgehungert, Haare hatten wir auch schon ewig nicht mehr an ihm gesehen, und im Altgesellenzimmer waren die Aschenbecher einzig verbliebenes gestalterisches Moment – aber es fehlten immer noch 500 Mark.

Doch bald vermerkten wir eine abrupte Wendung. Heino saß vorübergehend ein, weil er den Verkäufer der Zoohandlung tätlich angegangen war. Der hatte den Kakadu endlich verkloppen können und weigerte sich standhaft, Heino den Namen des Käufers preiszugeben. Woher sollte er ihn auch wissen? Das allerdings war dem Liebeskranken auch durch uns nicht beizubiegen. Seither schmiedet unser Freund düstere Pläne, verweigert feste Speise; selbst unser Trostpflaster, einen bis aufs letzte Ångström naturgetreu in Plüsch nachempfundenen Kakadu, fanden wir Tage später verkokelt vor seinem Anwesen. Die Wahrscheinlichkeit, daß der vermaledeite Nebenbuhler auf Heinos herzzerreißende Annoncen reagiert, dürfte gleich Null sein. Wie wir da weiterhelfen sollen, wissen wir, ich schwör's, nun wirklich nicht. Das Osterfest ist jedenfalls im Eimer. Und ob Ozzy Osbourne in diesem Leben noch mal auf Tournee kommt, wissen wir noch weniger. Michael Rudolf