Lernen ohne Campus

Das Netz hat längst die Hochschulen erreicht. Multimediaprojekte gibt es reichlich, doch die einzige virtuelle Universität ist bislang die Fernuniversität Hagen. Denn Deutschland ist multimediales Entwicklungsland  ■ Von Karin Hahn

Vorbei die Zeit, in der Studierende morgens um neun die U-Bahnen raus nach Dahlem oder in Richtung Unter den Linden verstopften, um mit hängender Zunge die Vorlesung pünktlich zu erreichen. Die StudentInnen vor morgen klicken sich via Internet in Vorlesungsveranstaltungen ein, kontaktieren per Chat-rooms ihre Kommilitonen. Sie sparen nicht nur den Weg zur Uni, die virtuelle Universität hat rund um die Uhr geöffnet. Die Universität als geistige Mucki-Bude, wo man sich wie im Fitneß-Center die Bildung nach Lust und Laune und Zeitplan einverleibt. Oder?

Die Verwirklichung dieser Vorstellungen liegt in weiter Ferne. Deutschland ist – trotz schallender Bekundungen der Multimediabranche auf der Cebit – beim Einsatz neuer Medien in der Bildung multimediales Entwicklungsland.

Rund 1.000 Multimediaprojekte registrierte das Hochschul- Informations-System (HIS) 1996 bei einer Bestandsaufnahme an deutschen Hochschulen. Angesichts der Flut von Fakultäten eine rührende Zahl. Außerdem, kritisierten das HIS, ziehe die wissenschaftliche Gemeinschaft zuwenig an einem Strang. Die Einführung der neuen Medien hänge zu sehr an einzelnen Lehrenden. Dadurch sei die Kontinuität gefährdet, Doppelentwicklungen seien nicht ausgeschlossen. Ein Konsens über bundesweite Standards fehle.

Eine Vorreiterrolle in puncto virtuelle Universität spielt die Fernuniversität Hagen. Dort gehört Lernen via Datenleitung bereits zum Alltag. „Etwa 5.000 unser 56.000 Studenten besuchen einen virtuellen Studienplatz“, sagt Pressereferent Gerd Dapprich. Alle Fakultäten haben Kurse ins Internet gestellt, hundert Kurse sind es insgesamt. „Jeder Kurs wird fürs Netz bearbeitet und an die technischen Erfordernisse angepaßt.“ Wirtschaftsinformatik gibt es sogar als komplettes Online-Studium.

Damit die Studierenden das Angebot nutzen können, brauchen sie einen leistungsstarken PC, Internet-Anschluß und Multimediaausstattung mit Videokamera und Mikrofon. Die Multimediaausrüstung, ohne PC, gibt es ab 200 Mark. Hinzu kommen Materialgebühren und – reduzierte – Telefonkosten. Hier finanzieren die Studenten die technische Ausstattung aus eigener Tasche.

Wie die deutschen Hochschulen den Anschluß ins mediale Zeitalter finden, ist unklar. Denn daß das virtuelle Studium nicht Kosten spart, sondern Investitionen verlangt, ist in Expertenrunden, wie etwa auf der Multimedia-Messe Online-Educa Ende vergangenen Jahres in Berlin, unumstritten. Mit Multimedia und Internet werde die Qualität des Lehrens und Lernens zwar besser, doch Erfahrungen aus den USA etwa haben bislang gezeigt: Auch auf Dauer ist die virtuelle Welt ein Zuschußgeschäft, schon weil die Weiterentwicklung der Technik immer neue Investitionen erfordert.

In seiner Empfehlung zur Hochschulentwicklung durch Multimedia in Studium und Lehre kam der Wissenschaftsrat 1998 zu dem Schluß, daß für die hochschulinterne Vernetzung zwischen 1,5 bis 3,5 Millarden Mark erforderlich sind. Etwa eine Millarde Mark wird gebraucht, um die Arbeitsplätze der StudentInnen besser mit Rechnern auszustatten. Dadurch würde die deutsche Hochschullandschaft noch nicht mal an die Spitze der Multimediagesellschaft katapultiert, sondern fände nur Anschluß an die internationale Konkurrenz. Mit hundert Millionen Mark fördert das Bundesbildungsministerium in den nächsten fünf Jahren zunächst die Sieger des Wettbewerbs „Nutzung des weltweit verfügbaren Wissens“.

„Die neuen Medien eröffnen den Hochschulen die Möglichkeit, ihre Stärken auszubauen und Fächer im Verbund mit anderen Hochschulen anzubieten“, sagt HIS-Mitarbeiter Thomas Sand. Ein erstes Beispiel liefern die Berliner Humboldt-Universität und die Universität Koblenz-Landau. Sie haben einen Online-Magisterstudiengang Bibliothekswissenschaft aufgebaut. Das erste Hauptfach wird regulär vor Ort in Koblenz studiert, das zweite Hauptfach Bibliothekswissenschaften per Videokonferenz übertragen.

Die Seminar- und Vorlesungsräume werden durch die virtuelle Lernwelt kaum leerer. Bislang sind virtuelle Studienplätze begrenzt. Mehr als zwanzig Teilnehmer sind in einem Seminar per Videokonferenz nicht sinnvoll. Bei den Prüfungen geht es ohnehin konventionel zu. „Für die Prüfungen kommen die Studierenden in eines unser Studienzentren“, erzählt Dapprich von der Fernuni Hagen, „dort nimmt der Prüfer via Videokonferenz die Prüfung ab.“ Damit niemand schummeln kann, steht ein Mitarbeiter der Fernuniversität hinter dem Prüfling.

Die Ausbreitung von Multimedia macht Präsenzuniversitäten nicht überflüssig. Denn nach wie vor ist unumstritten, daß persönlicher Kontakt in vielen Bereichen den Lernerfolg erhöht. „Die Präsenzuniversitäten werden die Vernetzung vor allem im Infobereich einsetzen, in virtuellen Vorlesungsverzeichnissen und oder für Teleteaching-Einheiten mit international bekannten Wissenschaftlern“, schätzt Birgit Feldmann- Pempe vom Projekt Virtuelle Universität in Hagen. „Letztlich wird die virtuelle Uni eine Domäne des Fernunterrichts bleiben.“