Italiens hilflose Helfer

■ Italiens Hilfen für die Kosovo-Flüchtlinge sind üppig und gut gemeint, aber von zweifelhaftem Erfolg

Zwei Seelen wohnen, ach, derzeit in nahezu jeder italienischen Brust: von der Regierung, die sich wohl am Wochenende spalten wird (weil die kommunistischen Minister aus Protest gegen die fortgesetzten Bombardements zurücktreten), über die Küstenwacht (die nicht so genau weiß, ob sie neue Flüchtlingsboote wie vordem nach Albanien zurücktreiben oder die Leute lieber an die apulische Küste geleiten soll) bis hin zu Armando, dem Lastwagenfahrer, der seit Tagen Hilfsgüter auf das Transportschiff „San Marco“ kutschiert und soeben von der letzten Tour in Albanien zurückgekehrt ist: „Irgendwie läuft alles verquer“, murrt er, „denn wo auch immer wir unsere Aufnahmelager und Krankenhäuser hinstellen – es kommen immer die Leute, die da irgendwie deplaziert sind.“

Dabei geht es nicht – oder noch nicht – so sehr darum, daß die Wasser- und Milchlieferungen, Brote, Reispackungen und Konserven an die falschen Leute geraten würden. Also an „Schakale“, die das alles gar nicht nötig hätten oder die am Ende die milden Gaben nur auf dem Schwarzmarkt verhökern: „So etwas wie einen organisierten Schwarzmarkt gibt es noch gar nicht“, hat Armando beobachtet, „dazu ist alles noch viel zu sehr im Fluß.“

Warum er dennoch den Eindruck hat, alles laufe falsch, kann er nur ungefähr beschreiben: „Die Leute, für die wir an der Grenze zwischen Albanien und dem Kosovo Lager einrichten, haben Angst, daß am Ende eine Dauereinrichtung daraus wird, und sitzen ungerührt von den gebotenen Möglichkeiten auf ihren Kisten und Säcken. Die Augen nur nach Norden gerichtet, wann sie wieder zurückkönnen: Sie haben Angst, einmal in ein Camp eingezogen, würden sie nie wieder in ihre Häuser zurückkehren.“ Ähnlich mißtrauisch seien die Nordalbaner: „Was“, fragten die, „ist, wenn der Krieg zu Ende ist, das Kosovo aber serbisch bleibt und die Weltöffentlichkeit kein Interesse mehr hat – dann zahlen wir die Zeche.“

Armandos Freund Pierino, der als Feldwebel beim Aufbau meeresnaher Depots und Lager bei Durres eingesetzt ist, stimmt zu: „Hier wiederum bauen wir Camps für Leute, die nur eine Absicht haben – so schnell wie möglich nach Italien hinüberzukommen und dort für immer zu bleiben. Wer sich einmal bis hierher durchgeschlagen hat, will nicht mehr auf dem Balkan bleiben.“ Innenministerin Russo Jervolino will die „Wasserfront“ bei Durres denn auch nur als „allerletzte Barriere“ vor der Massenflucht ansehen: also eher für diejenigen, die schon in die Schlauchboote gestiegen sind, dann auf See abgefangen und rückexpediert wurden, als für die Menschen, die noch ernstlich den Willen zur Heimkehr nach Priština oder Manni haben.

Bedenken wie die Armandos seien der Regierung durchaus bekannt, bescheidet ihn ein Abgesandter der Präfektur, nachdem Armando seine Ansichten in einem Lokalradio geäußert hat, aber so richtig kümmern könne sie sich erst nach Ostern darum: Am Tag der Auferstehung des Herrn nämlich will Ministerpräsident Massimo D'Alema, zur besten Sendezeit, um des Papstes Urbi-et-orbi- Segen herum, das erste Lager in Kukes feierlich eröffnen. Und bis dahin möge man Zweifel bitte nicht so laut äußern, denn: „Es ist eh schon alles schwierig genug.“

Kurz nach der Beruhigungssuada des Amtmannes erreicht die San Marco der Befehl, einen Teil der schon geladenen Güter wieder auszuladen – zugunsten großer Mengen Trinkwasser. Denn aus dem Grenzgebiet kamen soeben Nachrichten, daß bereits mehrere Menschen verdurstet seien. Die Abfahrt des Schiffes verzögert sich, bis zwei Dutzend Zehn-Tonnen-Wassertanks verstaut sind, die in 40 Stunden im fraglichen Gebiet ankommen sollen – rechtzeitig also, bis D'Alema die rote Schnur für die Eröffnung des Camps durchschneiden soll. Werner Raith, Otranto