Das Zerrbild der eigenen Verstrickung

■ Lukas Hartmann über seinen Roman „Die Frau im Pelz“ und die Kooperation der Schweiz mit den Nazis

Carmen Mory, geboren 1906 in einem Schweizer Bergdorf, will Sängerin werden und wird Spionin für die Nazis. Sie wird zweimal zum Tode verurteilt. Das erste Mal, in Frankreich, kann sie entkommen. Der Vollstreckung des zweiten Urteils in Hamburg kommt sie durch Selbstmord zuvor. Der Schweizer Autor Lukas Hartmann schrieb den Roman Die Frau im Pelz über das Leben der Mata Hari des Zweiten Weltkrieges.

taz: Herr Hartmann, was reizte Sie an der Figur Carmen Mory?

Lukas Hartmann: Ich war elektrisiert von der Vorstellung, daß eine Schweizerin aus einem Bergdorf ein ganz ungewöhnliches Leben geführt hat. Ich habe dann in den Zeitungen von 1946/47 nachgeblättert und bin dann dort auf eine sehr umfangreiche Prozeßberichterstattung gestoßen. Gleichzeitig wurde mir bei der Lektüre klar, daß es sich bei Carmen Mory um eine höchst schillernde, widersprüchliche und umstrittene Person handelte.

Nun konnten Sie aber nicht das ganze Leben nachrecherchieren und mußten sich daher einige Passagen dazudenken. Wie unterscheiden Sie die Stellen um Carmen Mory, die belegt sind durch ihre Quellen, von den erdachten?

Ich habe mir das lange überlegt. Man kann nicht, wenn man klar deklariert einen Roman schreibt, die imaginierten Passagen immer wieder deutlich abgrenzen von den quellenmäßig dokumentierten. Ein Roman will ja auch etwas anderes. Er hat von Anfang nicht den Anspruch, harte Fakten vorzulegen. Es kommt auf eine innere Stimmigkeit an. Ich gehe dabei davon aus, daß über ein bestimmtes vielschichtiges Leben immer auch verschiedene Wahrheiten existieren.

Was lieferte Ihnen die Fakten?

Ganz wesentlich waren für mich die Prozeßakten. Allein in diesen Wort-für-Wort-Protokollen, die ungefähr 1000 Seiten stark sind, kommt für mich die ganze Umstrittenheit der Figur Mory zum Vorschein.

Haben Sie denn in Hamburg die Orte besucht, an denen „Die Frau im Pelz“ spielt?

Ich habe das Schweizer Konsulat in der Rothenbaumchaussee aufgesucht. Ich war auch im Curio-Haus, wo der Prozeß stattfand, und dem Friedhof Ohlsdorf. Im Hamburger Staatsarchiv habe ich die Gefängnisakten gefunden. Besonders ihre beiden letzten Lebensmonate im Zuchthaus Fuhlsbüttel zeigen sie von einer ganz anderen Seite. Da ist die Frau innerlich und zunehmend auch äußerlich zusammengebrochen und ihre Verzweiflung hat von Tag zu Tag zugenommen.

Vor allem haben sie sich auch die Figur des Schweizer Konsul dazugedacht. Der trägt keinen Namen, obwohl es ein leichtes gewesen wäre, ihn zu nennen.

Ja, es gab den Schweizer Konsul. Aber ich gebe ihm keinen Namen, weil er für mich der Repräsentant der Schweiz bleiben soll.

Am Ende bricht der Konsul zusammen, denn er macht sich durch den Prozeß der Mory Gedanken über die eigene Schuldhaftigkeit und Verantwortung für die Nazi-Verbrechen. Hat das etwas zu tun mit der Debatte in der Schweiz um die Verantwortung der damaligen Regierung?

Ja, das hat damit zu tun, wobei ich zu denen gehöre, die schon vor vielen Jahren auf diese Verstrickung hingewiesen haben und deswegen verketzert wurden. Aber der Konsul schien mir eine ganz interessante Figur zu sein, weil er Carmen Mory zunächst als Verkörperung des Bösen und der Nazi-Greuel sieht und gar nicht in der Lage ist, sie als Schweizerin zu akzeptieren. Später sieht sieht er in ihr wie in einem Zerrbild die eigene Verstrickung. Sie zwingt ihn dazu, sich mit seiner eigenen Rolle auseinanderzusetzen.

Einer seiner Schlüsselsätze lautet denn auch: „Wir neigen dazu, Verschontheit mit Schuldlosigkeit zu verwechseln.“ Ist die Schweiz denn tatsächlich verschont geblieben?

Natürlich, rein äußerlich schon. Der Mythos, der sogleich nach dem Krieg entstand, wollte das der eigenen Schweizer Tüchtigkeit und Abwehrbereitschaft, diesem unbedingten Selbstverteidigungswillen zuschreiben und nicht der manchmal allzu willigen Kooperation mit den Achsenmächten. Daß dies eben doch so war, wurde durch diesen Mythos sehr rasch verdrängt.

Das spiegelt der Konsul wieder.

Bei dem immerhin einiges aufbricht. Ich lasse jedoch offen, ob es weiter wirkt. Ich schreibe ja am Ende, daß er an jedem schlechten Tag seines künftigen Lebens an Carmen Mory denken werde.

Interview: Eberhard Spohd

Lukas Hartmann stellt sein Buch morgen, 19.30 Uhr, in der Heinrich-Heine-Buchhandlung, Schlüterstraße 1, vor.