Holocaust und Haß im Internet

■ Das Wiesenthal-Zentrum legt Liste neonazistischer Propaganda im Internet an. Mit Aufklärung gegen die Nazi-Professionalität. Hamburger Arbeitsstelle geht ähnlichen Weg

New York (taz) –Ignorieren hilft nicht mehr: So schätzt das in Los Angeles beheimatete Simon- Wiesenthal-Zentrum den steilen Anstieg neonazistischer und rassistischer Internetseiten im World Wide Web ein. War es 1995 zur Zeit des Bombenattentats von Oklahoma gerade einmal eine einzige bekannte Website, registrierte die Sonderforschungsgruppe des Zentrums unter der Leitung des Medienexperten Mark Weitzman inzwischen über 1.400 Haßseiten.

„Das besonders Erschreckende an diesen Internetseiten ist ihre extreme Professionalität“, erklärt Weitzman. Die neueste Taktik der Rassisten ist die konkrete Ansprache von Kindern und Jugendlichen. So wirbt der „Ku Klux Klan“ mit einem Diskussionsforum bei der beliebten Suchmaschine „Yahoo!“. Andere Webseiten bieten Versionen der Ballerspiele „Doom“ und „Wolfenstein“ gratis zum Herunterladen an – gespickt mit rassistischen Parolen und bösen Karikaturen von Schwarzen, Juden und Homosexuellen.

Neu ist auch der Versuch, eigene Webseiten als Nachschlagewerke für Schüler und Studenten attraktiv zu machen – und darüber rechtsextreme Ideologien in die Klassenzimmer zu bringen. So empfängt eine Internetseite über Martin Luther King den Leser mit Originalfotos und Biographiedaten, um ihn zu einer Werbung für das Buch des Ex-„Ku Klux Klan“- Führers David Duke zu leiten, der hier „die ganze Wahrheit“ über den amerikanischen Bürgerrechtler loswerden möchte.

„Der größte Vorteil des Internets ist gleichzeitig sein größtes Problem: der unbegrenzte Informationszugang“, sagt Mark Weitzman. Wer den Begriff Holocaust eingebe, der erhalte neben der Internetadresse des Simon-Wiesenthal-Zentrums genauso Hinweise auf Webseiten von rechten Gruppen, die den Holocaust leugnen. Weitzman mahnt: „Wir dürfen unsere Kinder vor dem Computer nicht allein lassen.“ Die größte Fehlentwicklung in Amerika im Umgang mit der neuen Technik sei der Trend, den Computer neben dem Fernsehen als zweiten Babysitter zu mißbrauchen. Wichtig sei es vielmehr, Kindern schon frühzeitig zu vermitteln, daß nicht alles, was im Netz zu finden ist, wahr sein muß – egal, wie gut es auch aufgemacht sein mag.

„Im Internet konkurrieren wir mit geschickten Marketingstrategen der Rechtsextremisten um die Aufmerksamkeit der Jugendlichen“, sagt Rabbi Abraham Cooper, stellvertretender Leiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums. Allein im vergangenen Jahr verkaufte eine Band mit dem Namen „Heiliger Rassenkrieg“ durch geschickte Verkaufsstrategien über das Internet über 50.000 Kopien ihrer CD. Das Zentrum startete eine Gegenoffensive und versorgt jetzt Polizei, Schulen und die Medien mit einer interaktiven CD- ROM, die alle bisher gefundenen rassistischen und neonazistischen Internetseiten zeigt und kommentiert.

Kritiker werfen dem Zentrum vor, durch die CD-ROM rassistische Webseiten überhaupt erst publik zu machen. Dagegen hält Rabbi Abraham Cooper: „Gegen falsche Propaganda im Internet haben wir nur eine Chance, wenn wir möglichst viele Menschen darauf aufmerksam machen“, erklärt er. Jede Webseite kann von über 150 Millionen Internetnutzern gelesen werden. Und das Netz hat keine Schranken: Während seiner Forschungsarbeiten entdeckte das Zentrum, daß immer mehr europäische Extremisten auf amerikanische Rechner ausweichen, weil sie auf dem alten Kontinent die Beschlagnahmung ihrer Computer fürchten.

Einen ähnlichen Weg geht unterdessen die Hamburger Forschungsstelle „Erziehung nach/ über Auschwitz“. Sie bietet eine Broschüre samt Diskette an, die den Holocaust im Internet thematisiert. Dazu zählt das Anfertigen einer „guided tour“, bei der die WWW-Seiten gesichtet und bewertet werden. Cornelia Fuchs

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