Von Nudeln und toten Soldaten

Europas einzige tägliche Radiosendung für Frauen wird heute zwanzig Jahre alt. Doch zum Geburtstag will der Berliner SFB die „Zeitpunkte“ nun offenbar abschaffen  ■ Von Petra Welzel

Wäre es nicht ihre Sendung, wären die „Zeitpunkte“ längst ein Fall für das Frauenmagazin. Heute vor zwanzig Jahren rauschten die „Zeitpunkte“ das erste Mal über den Äther des Sender Freies Berlin, alternativ und anders wollten sie sein.

Vergessen waren damals die 60er-Jahre-Programme wie der „Abwasch“ vom WDR, nur die „Women's Hour“ vom BBC, Mutter aller Frauenrundfunkmagazine, sendet noch heute einmal die Woche. Jeden Tag gibt es nur die „Zeitpunkte“. Noch, denn beim SFB stehen sie nun zum vierten Mal auf der Abschußliste. Ab dem August sei für sie nach neuen Plänen der Geschäftsführung und Hörfunkdirektion kein Sendeplatz mehr vorgesehen, berichten die Redakteurinnen. Das Programm Radio Kultur, auf dem sie zu hören sind, soll mit dem von Radio 3 verschmelzen – aus Spargründen.

Das ausgerechnet eine der beliebtesten Sendungen mit (laut SFB) 50.000 HörerInnen abgewickelt werden soll, bestreitet hingegen Hörfunkchef Jens Wendland. „Ich werde weder die Zeitpunkte noch die Redaktion zerschlagen“, sagt er: „Darauf können Sie mich festnageln.“ Aber wohl ins quotenarme Abendprogramm sollen sie abgeschoben und auch an der Länge gesäbelt werden.

Jenseits weiblicher Problemzonen

Letzten Donnerstag, fünf vor zwölf: Magdalena Kemper, Redakteurin der gleich beginnenden Sendung, entert mit Moderatorin, Aufnahmeleiterin und der Musikredakteurin das Sendestudio. Hans Ackermann liegt in den letzten Tönen mit der „Klassik Plus“ und kündigt die „Zeitpunkte“ an: „Getretene Nudel statt toter Mann, eine Reportage über Aquafitness, das muß einem erst mal einfallen!“ Einfälle hatten die Frauen von „Zeitpunkte“ in zwanzig Jahren eine Menge: „Von der Pille zu den Hormonen“, faßt es Fédele Simshäuser, von Anfang an dabei, zusammen. Vollgeschissene Windeln, Kindererziehung, Pubertät und Wechseljahre summiert ihre Kollegin Birgit Ludwig dazu. Daß es immer auch um aktuelle politische Ereignisse jenseits weiblicher Problemzonen ging, daran denken die Macherinnen erst auf Nachfrage. Dabei dürfte das ein Grund sein, warum knapp die Hälfte ihrer HörerInnen Männer sind. Bei ihnen erfahren sie etwas über weibliche Befindlichkeiten und auch etwas über Politik aus anderer Sicht. „Wir müssen die Welt nicht in 2 Minuten 30 erklären“, umschreibt das die Redakteurin Claudia Ingenhoven. Und es war am 21. Januar 1991 auch ein „Zeitpunkte“- Kommentar, der das tägliche Medienspektakel zum Golfkrieg auf den Punkt brachte: „Im ganzen Land, so hat es den Anschein, leben nur zwei Menschen: Saddam Hussein, der irakische Diktator, und Peter Arnett, der amerikanische Reporter.“

12.05 Uhr: Die Nachrichten sind gesprochen, Musik wird eingeblendet, die Moderatorin Gesine Strempel sitzt vorm Mikro und hebt den Arm: ihr Einsatz, die Begrüßung. Die Nudelreportage aus dem Wasser erweist sich als Schmankerl, die Kost zum Einstieg ist etwas deftiger: Ein Telefoninterview mit Ilona Rothe über ihren Antikriegsappell und den Einsatz ihres Sohnes im Kosovo steht auf dem Menü. Während es Magdalena Kemper Mühe bereitet, die Leitung herzustellen, überbrückt Gesine Strempel die Zeit mit dem Brief eines serbischen Soldaten an seine Mutter aus dem Bosnienkrieg – diese Mutter sah ihren Sohn nie wieder. Eine Woche zuvor schon hatte Gesine Strempel heftige Reaktionen ausgelöst, als sie während eines Gesprächs über Kriegserlebnisse einer Bosnierin danach fragte, wie der junge Soldat, um den es ging, genau gestorben sei. In der Redaktionskonferenz später sagte sie: „Der Tod dieses Soldaten darf kein Geheimnis sein.“ Da hatte bereits eine Hörerin angerufen und darum gebeten, solche Fragen nicht mehr zu stellen. Sie hätte ihr Auto an den Straßenrand fahren und heulen müssen.

Die HörerInnenbindung der „Zeitpunkte“ ist enorm. Selbst als mit dem dritten Frequenzenwechsel 1994 von SFB 3 zu Radio Kultur dort die Quoten kaum noch meßbar waren, gab's immer mittags zwischen 12 und 13 Uhr eine Beule in der Pegelkurve. Auch noch 1990 nach einem anderen Abwicklungsversuch zwischen Operetten für und Grußadressen von Seventysomethings. In 20 Jahren sind den „Zeitpunkten“ zwar einige HörerInnen abhanden gekommen, aber es kamen auch neue hinzu. Die Fans folgten klaglos. Nur als der Hörfunkdirektor 1990 wieder ganz Hand an die Sendung legen wollte, demonstrierten 80 Frauen vor dem Rundfunkgebäude und überreichten 3.000 Unterschriften gegen die Kappung. So wie es aussieht, sollten sie diesmal Hammer und Nägel bereithalten.

Wenn die Telefone heißlaufen

12.12 Uhr: Ilona Rothe ist am Telefon, spricht von Unterstützung, den europaweit entstandenen Kontakten, aber auch davon, daß im Moment alles katastrophal sei. Ihre Stimme ist jung und voll Leiden, sie sei keine Feministin, sagt sie auch. Den Kommentar von Magdalena Kemper: „Das macht nichts, das kommt noch“, hört sie nicht. Auch nicht, daß oben in der Redaktion bereits die Telefone klingeln. Als Gesine Strempel sich von ihr verabschiedet und sie an die Redakteurin zurückstellt, sagt die zu ihr nur: „Ich wünsche Ihnen alle Kraft dieser Welt.“ Ein bißchen davon benötigen die „Zeitpunkte“-Frauen jetzt auch.

Sondersendung heute 9.30 Uhr, Radio Kultur, 92.4 MHz in Berlin