Uneins über die weitere Nato-Strategie im Kosovo

■ US-Außenministerin Albright hält Einsatz von Bodentruppen jetzt auch ohne Abkommen für möglich. Die Nato verstärkt ihre Luftangriffe auf Jugoslawien und greift auch zivile Ziele an

In der weiteren Strategie gegenüber Restjugoslawien ziehen jetzt noch nicht einmal die treuen Verbündeten USA und Großbritannien mehr an einem Strang. US- Außenministerin Madeleine Albright sprach sich erstmals dafür aus, den Einsatz von Nato-Bodentruppen im Kosovo nicht vom Abschluß eines Friedensabkommens abhängig zu machen. Voraussetzung sei ein Umfeld, das den Einsatz erlaube, sagte Albright am Ostersonntag dem US-Fernsehsender NBC. Dies lasse sich nicht nur dann schaffen, wenn der jugoslawische Präsident Slobodan Milošević einem Friedensabkommen zustimme.

Demgegenüber machte der britische Premier Tony Blair erneut den Abschluß eines Abkommens zur Bedingung für einen Nato-Einsatz am Boden. Die Nato lehnte bislang den Einsatz von kämpfenden Bodentruppen im Kosovo (Schätzungen beliefen sich auf rund 200.000 Soldaten) stets ab.

Britischen Presseberichten zufolge feilen westliche Militärs bereits an einer Art Kompromiß in der Frage von Bodentruppen angesichts des Flüchtlingselends. Nach Berichten der Sunday Times und des Observer ist eine Invasion mit 50.000 bis 60.000 Soldaten bereits in der Planung. Nato-Vertreter hätten dies laut Sunday Times als „offensive Friedenserhaltung“ bezeichnet, um die Rückkehr Hunderttausender Vertriebener in den Kosovo abzusichern.

Die USA erklärten, sie würden mindestens 8.000 Soldaten nach Albanien entsenden, um den Flüchtlingen zu helfen. Eine Vorausabteilung der US-Streitkräfte traf gestern in Tirana ein. Außerdem stimmte US-Präsident Bill Clinton der Entsendung von 24 Apache-Kampfhubschraubern zu. Sie werden unter anderem im Tiefflug gegen Panzer eingesetzt.

Nach Angaben des niederländischen Verteidigungsminister Frank de Grave hat die Nato die Entwicklung im Kosovo möglicherweise zu naiv eingeschätzt. Die Allianz sei auf einen derartig großen Umfang von Flüchtlingsvertreibungen nicht vorbereitet gewesen, erklärte de Grave am Sonntag im niederländischen Rundfunk. Sie hätte mehr Vorkehrungen treffen müssen, um das Schicksal der Flüchtlinge zu erleichtern.

Meinungsverschiedenheiten gibt es nicht nur im westlichen Lager. Der Riß geht trotz der ablehnenden Haltung Rußlands in der Frage der Luftangriffe auch quer durch die Reihen der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS). Wie der georgische Präsident Eduard Schewardnadse gestern erklärte, teilen die meisten GUS-Mitglieder die Haltung Moskaus nicht. Deshalb habe sich der GUS-Gipfel am Freitag auch nicht auf eine gemeinsame Schlußerklärung einigen können, sagte Schewardnadse in Tiflis.

Schewardnadse vermied Kritik an den Nato-Einsätzen und beschuldigte statt dessen die jugoslawische Führung des Völkermords an den Albanern im Kosovo. Jede der in der GUS zusammengefaßten zwölf ehemaligen Sowjetrepubliken habe ihre eigene Ansicht über die Krise auf dem Balkan. Er verglich den Konflikt mit den Ereignissen im zu Georgien gehörenden autonomen Gebiet Abchasien, wo Rebellen vor einigen Jahren ebenfalls eine Politik der ethnischen Säuberungen zu Lasten der Georgier betrieben hätten.

Die Nato verstärkte unterdessen über Ostern ihre Luftangriffe auf jugoslawische Ziele. Ein Nato- Vertreter sagte gestern in Brüssel, es habe in der Nacht die bisher „heftigsten“ Angriffe gegeben. Mehrere Infrastruktureinrichtungen seien angegriffen worden. Seit der Nacht zum Samstag beschossen Nato-Flugzeuge auch zivile Ziele in Belgrad. Nach Berichten des jugoslawischen Rundfunksenders Studio B griff die Nato in der Nacht zum Montag die Kommandozentrale der jugoslawischen Luftwaffe und der Luftabwehr an. Das Gebäude liegt in Zemun, einem nordwestlichen Vorort von Belgrad. In der jüngsten Angriffsnacht seien in Serbien mindestens elf Menschen verletzt worden, zwei von ihnen schwer, berichtete der serbische Fernsehsender RTS.

Auch in Priština, der Hauptstadt des Kosovo, vernahmen Augenzeugen in der Nacht zum Montag zahlreiche Explosionen. In der Nacht zum Sonntag hatte die Nato nach serbischen Medienberichten unter anderem die Polizeiakademie und zwei Kraftwerke in Belgrad getroffen. Reuters/AP/AFP