Spielerischer Zugang zur Hochkultur

Mit Workshops in Schulen versucht der Theaterpädagogische Dienst, Kinder und Jugendliche zu aktiven Theatergängern zu erziehen. Doch die Zukunft des Projekts ist ungewiß: Die Finanzen sind nur bis Juni gesichert  ■   Von Sabine Kalinowski

„Und jetzt stellen wir uns vor, wir seien Prostituierte“, ruft die Schauspielerin Bärbel Jogschies in die Menge. Die Schüler einer 11. Klasse der Georg-Büchner-Oberschule fangen an zu lachen. Die Mädchen tigern im Catwalk, die Jungen schlackern ungelenk mit den Hüften. Als nächstes sollen sie einen Bettler imitieren. „Ey, haste mal 'ne Mark?“ ruft jemand.

Die Figuren stammen aus Bertolt Brechts Theaterstück „Der gute Mensch von Sezuan“, das die Schüler in den vergangenen Wochen im Deutschunterricht behandelt haben. Sie haben das Drama bereits gelesen und eine Klausur darüber geschrieben.

Jetzt sollen sie mit Hilfe des Theaterpädagogischen Dienstes zwischen den Zeilen lesen und versteckte Inhalte aufspüren. „Wir wollen dabei einen spielerischen Zugang zum Theater vermitteln, der bei den Jugendlichen oft mit kulturellen Barrieren behaftet ist“, erklärt Projektmitarbeiterin Jogschies.

„Die meisten meiner Kollegen erledigen die Literatur im Unterricht nur anhand des Textes und nicht mit Sprache und Bildern“, klagt Thomas Schleissing-Niggemann, der Deutschlehrer der Klasse. Nur so lasse sich aber die Lust auf das Theater wecken. Deshalb hat Schleissing-Niggemann den Theaterpädagogischen Dienst eingeladen, an seiner Schule in Tempelhof einen Workshop abzuhalten.

„Das Schwierige ist, die Kinder nicht nur für ein einzelnes Theaterstück oder das Theaterspielen zu interessieren, sondern zu aktiven Theatergängern zu erziehen“, erklärt Bärbel Jogschies die Aufgabe des Theaterpädagogischen Dienstes, der seine Workshops auch für Lehrkräfte anbietet. Die Themen der Veranstaltungen reichen vom „Lebenslauf des Theaters“ über „Alltag hinter den Kulissen“ bis zu „Dramatik im Unterricht: Romeo und Julia“.

Um die Jugendlichen dauerhaft an das Theater zu binden, darf ein solcher Workshop keine Eintagsfliege bleiben. Doch die Zukunft des Theaterpädagogischen Dienstes steht derzeit in den Sternen. Zwar hatten der Bund und die Berliner Arbeitsverwaltung das Projekt erst vergangenen Sommer, mitten im Arbeitsbeschaffungs-Boom vor der Bundestagswahl, für drei Jahre als „Strukturanpassungsmaßnahme“ (SAM) bewilligt.

Aber schon nach wenigen Monaten hieß es: Ende Dezember ist Schluß. „Aufgrund komplizierter Haushaltsregeln für SAM-Gelder standen bisher nicht genügend Mittel für das Projekt zur Verfügung“, erklärt der Sprecher der Arbeitsverwaltung, Klaus-Peter Florian, den Rückzieher bei der Finanzierung.

Trotzdem konnte sich das Berliner Abgeordnetenhaus im Februar dazu durchringen, eine Frist bis zum 30. Juni dieses Jahres zu gewähren. Bis dahin will der Senat nach Möglichkeiten suchen, auch die restlichen zwei Jahre zu finanzieren. „Jetzt aufzuhören wäre falsch“, sagt Projektmitarbeiterin Bärbel Jogschies, „die Sache ist erst Anfang dieses Jahres so richtig in Fahrt gekommen. Mittlerweile können wir uns aber vor Anfragen kaum mehr retten und sind für die nächsten Wochen komplett ausgebucht.“

Der sechzehnjährigen Lisa macht der Workshop großen Spaß. „Endlich mal nicht nur Theorie, sondern Praxis“, erklärt die Schülerin, die jedoch nur sporadisch ins Theater geht: „Wenn ich meine Freunde frage, kommt bisher kaum einer ins Theater mit. Das ist denen zu anspruchsvoll oder zu altmodisch.“ Andere störe die strikte Kleiderordnung, die sie in den Hallen der Hochkultur vermuteten.

Inzwischen liegt Oliver, der Klassensprecher, glaubhaft „im Bett“ – dargestellt auf einem umfunktionierten Schultisch. Plötzlich springt er panisch auf und rennt zu einem imaginären Fenster. „Wie stellt man eine Szene glaubhaft dar?“ fragt Bärbel Jogschies die Schüler nach dem kleinen Einmaleins der Schauspielerei. „Indem man sich sagt, ich mache jetzt ein erschrokkenes Gesicht“, antwortet eine Schülerin. „Falsch“, korrigiert Jogschies, „ihr müßt euch vorstellen, Hilfe, da ist eine Fledermaus über meinem Bett! Ich habe Angst: Wie komme ich am schnellsten hier weg?“

Nach Textinterpretationen und Pantomimenspiel sollen sich die Schüler schließlich in Gruppen zusammenfinden und eine komplette Szene aus Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ nachspielen.

Obwohl die geplanten drei Stunden Workshop fast zu Ende sind, wollen die Jugendlichen ihre Szenen unbedingt noch in Rap-, Werbe- oder Science-fiction-Version vorspielen.

So mutiert das Brecht-Stück zum Raumschiff Enterprise. „Ich wollte schon immer mal ein Raumschiff fliegen, Mr. Spock, aber ich durfte nicht“, improvisiert ein Schüler. „Hilfe, die Plasmawolken kommen! Es regnet!“, schallt es aus dem Mund einer Brecht-Figur zurück: „Vorhang zu, wegbeamen bitte!“