Der Verwandlungskünstler

Im Augenblick der Tragik eine amüsierte Miene aufsetzen: Eine Retrospektive zu Roman Polanski im Kino Nickelodeon zeigt drei Wochen lang große Wahnvostellungen und grandios inszenierte Fahrpläne in den Alltagshorror minus „Tanz der Vampire“  ■ Von Christof Rasch

Seine Geschichten sind Ausbrüche aus kleinen, engen Welten, aus den Welten schüchterner Angestellter, vereinsamter Maniküren oder gelangweilter Ehepaare auf Schiffsreise. „Der Mieter“, „Ekel“, „Bitter Moon“ – Roman Polanski ist seit über 35 Jahren eine feste Größe des psychologisch ambitionierten Kinos.

Polanski, vor 66 Jahren als Sohn polnisch-jüdischer Eltern in Paris geboren, lernte sein Handwerk in Polen. Mit 20 stand er für Andrzej Wajda erstmals vor der Kamera, eigene Kurzfilme folgten 1958. Den Durchbruch in seiner Heimat schaffte er 1962 mit „Das Messer im Wasser“. Internationale Beachtung erlangte er zwei Jahre später mit „Ekel“, in dem Catherine Deneuve eine verstörte Maniküre spielt, deren Alltag mehr und mehr zur Vision wird. Das ganze mündet schließlich in einen Doppelmord.

Drei Jahre später verwebt Polanski in „Rosemaries Baby“ den roten Faden seiner Filme, die Selbstentfremdung, mit klassischem Aberglauben und moderner Hexenjagd. Und am Ende wiegt Mia Farrow einen Satansbraten in den Schlaf. Polanskis Credo zur Vermeidung jeden „Happy- Ends“: „Ich will einfach, daß der Zuschauer sich über nichts sicher ist. Das ist das Interessanteste: die Unsicherheit.“

Im selben Jahr entstand sein populärstes Werk mit dem Endlos- Titel „The Fearless Vampire Killers or Pardon Me But Your Teeth Are In My Neck“, zu deutsch entsprechend einprägsamer: „Tanz der Vampire“. Die Gruselkomödie, inzwischen auch als Musical vermarktet, fehlt in der Retrospektive. Das Konzept der Retroplaner vom Nickelodeon ist durchweg homogen-schockierend bis in die Werke aus den Neunzigern: „Bitter Moon“ (1992), das Drama über zum Scheitern verurteilte Paare, und „Der Tod und das Mädchen“ (1995), die Tragödie der zwischen Verdrängung und Vergeltung Zerrissenen.

Zurück ins Jahr 69: Der Mord an seiner schwangeren Frau Sharon Tate markiert einen Wendepunkt in Polanskis Leben. Pessimismus und Schuldkomplexe prägen ihn fortan. Die Rückschau läßt ein wichtiges Werk dieser Phase leider aus: „Macbeth“, die blutrünstige Adaption des Shakespearschen Dramas von 1971. Und auch „Tess“ fehlt, der filmische Flop, der auf die persönliche Krise Polanskis nach seiner Ausweisung aus den USA folgte, wo man ihn der Vergewaltigung eines dreizehnjährigen Mädchens verdächtigte.

Mit von der Partie ist dafür der mäßig aufregende, dafür um so mehr mit Hollywoodklischees befrachtete Thriller „Frantic“ (1987), in dem ein planloser Harrison Ford seiner in Paris verschwundenen Frau nachirrt. Allemal spannender ist es, wenn Jack Nicholson als Privatschnüffler ganz im Stil von Raymond-Chandler-Krimis in „Chinatown“ (1974) einer kalifornischen Korruptionsaffäre nachspürt.

Einen der Höhepunkte der Retrospektive und eine Gelegenheit, Polanski selbst auch vor der Kamera zu erleben, ist der zwei Jahre später entstandene „Mieter“. Dieser, vom Regisseur mit Bravour dargestellt, verfällt mehr und mehr dem Wahn seiner eigenen Isolation – das banale Alltagsszenario endet in Halluzinationen und Wahnvorstellungen, ein von Polanski zur Perfektion entwickelter und grandios inszenierter Fahrplan in den alltäglichen Horror. Und: ein Einblick in die Persönlichkeit seines Schöpfers.

Polanski, schrieb Louis-Bernard Robitaille, sei „das Gegenteil einer Persönlichkeit“, einer von denen, „die im Augenblick der Tragik eine amüsierte Miene aufsetzen, die sich weigern sich preiszugeben und die sich ihr Leben lang verwandeln“.

Bis 20. April im Nickelodeon, Torstraße 216, Mitte. Tel. 30872372. Heute „Der Tod und das Mädchen“ um 18 Uhr, „Ekel“ und „Der Mieter“ um 20 und 22 Uhr