Milchdroge unter Krebsverdacht

Bisher hieß es immer, das Rinderwachstumshormon sei sicher. Neuere Untersuchungen zeigen, daß die Milchdroge Auslöser von zahlreichen Krankheiten sein kann. Experten sprechen sich gegen Zulassung aus  ■ Von Wolfgang Löhr

Für den Gentech-Konzern Monsanto steht eine milliardenschwere Investition auf dem Spiel. In den nächsten Monaten müssen die politischen Gremien in der Europäischen Union entscheiden, ob künftig die Anwendung des umstrittenen Rinderwachstumshormons rBST (rekombinantes bovines Somatotrophin) auch in hiesigen Kuhställen erlaubt sein soll. Das von Monsanto in den USA unter dem Namen Posilac vertriebene Hormon soll die Milchleistung von Kühen um 2,3 bis 6,6 Liter täglich erhöhen. Seit zehn Jahren schon versucht der Life- Sciences-Konzern in Europa für sein gentechnisch hergestelltes Produkt einen Zulassung zu bekommen – bisher erfolglos. Nachdem jetzt zwei wissenschaftliche Komitees der EU-Kommission ihre Stellungnahmen über die gesundheitlichen Folgen für Mensch und Tier abgegeben haben, muß Monsanto das Schlimmste befürchten: Es wird voraussichtlich nicht nur zu einer Verlängerung des seit 1994 geltenden rBST-Moratoriums in der EU kommen. Auch die vor sechs Jahren von der US-Arzneimittelbehörde Food and Drug Administration (FDA) beschlossene und unter fragwürdigen Umständen zustande gekommene Zulassung soll erneut überprüft werden.

„Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es jedenfalls keine Bedenken gegen den Einsatz des Rinderwachstumshormons.“ Jürgen Kundke, Sprecher der obersten Verbraucherschutzbehörde in Deutschland, des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Verbraucher (BgVV) in Berlin, stellt dem rBST eine Unbedenklichkeitsbescheinung aus. Zwar habe es in der Vergangenheit Bedenken aus Gründen des Tierschutzes gegeben, eine erhöhte Mastitisrate (Euterenzündung) zum Beispiel, aber diese seien durch neuere Untersuchungen ausgeräumt worden. Eine ganz andere Frage sei, so der BgVV-Sprecher, „ob wir das Hormon zu Steigerung der Milchproduktion überhaupt brauchen“. Aber das sei schließlich eine „politische Entscheidung“. „Aus Gründen des Verbraucherschutzes jedenfalls bestehen keine Einwände“, unterstreicht Kundke die Bewertung des BgVV.

Ganz anders klingen dagegen die Stellungnahmen der Brüsseler Experten. Der „Wissenschaftliche Ausschuß für Tiergesundheit“ lehnt eindeutig die Anwendung von rBST ab. So hätten Studien mit einer großen Anzahl von Tieren nicht nur gezeigt, daß die mit rBST behandelten Milchkühe gegenüber einer unbehandelten Kontrollgruppe ein bis zu 79 Prozent größeres Risiko hätten, an einer Euterentzündung zu erkranken. Auch würden bei rBST-Kühen doppelt so häufig Huferkrankungen registriert werden. Die Tiere würden zudem viel länger an der Erkrankung leiden.

Darüber hinaus gebe es eindeutige Hinweise, daß die Reproduktion beeinträchtigt werde. Die Trächtigkeitsrate sinke drastisch, und für die Muttertiere extrem belastende Zwillingsgeburten kämen vermehrt vor. Die meisten der genannten Nebenwirkungen waren schon vorher bekannt. Sie sind in den USA auch auf dem Beipackzettel von Posilac zu lesen. Nur bisher hatte die Tiergesundheit bei der Zulassung des rBST keine Rolle gespielt. Für die Veterinärexperten sind die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Milchkühe jedoch so gravierend, daß sie allein eine Nichtzulassung von rBST rechtfertigen.

Das Argument, die Nebenwirkungen seien nur indirekt auf die Milchdroge zurückzuführen, ursächlich sei die veränderte Zusammensetzung des Viehfutters oder die erhöhte Milchproduktion, weisen die Brüsseler Wissenschaftler zurück. Diese Probleme würden nicht auftauchen, wenn rBST nicht eingesetzt wird.

Noch weitaus vernichtender fiel die Stellungnahme des „Ausschusses für Veterinär- und Volksgesundheit“ aus, der die Aufgabe hatte, die gesundheitlichen Folgen für die Konsumenten von rBST- Produkten zu bewerten. So geht der Ausschuß davon aus, daß bedingt durch die erhöhte Krankheitsanfälligkeit der rBST-behandelten Tiere vermehrt Antibiotika eingesetzt werden. Die Arzneimittelrückstände in der Milch, Penicillin zum Beispiel, könnten dann zu allergischen Reaktionen bei den Konsumenten führen. Auch bestehe die Gefahr, daß vermehrt antibiotikaresistente Krankheitskeime entstehen könnten.

Bisher hieß es immer, rBST sei sicher. Es sei identisch mit dem natürlichen Rinderwachstumshormon. Und auch wenn in der Milch von rBST-behandelten Kühen erhöhte Hormonkonzentrationen zu messen seien, würde dies keine Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellen. Denn bereits im Magen-Darm-Trakt wird das aus rund 180 Aminosäuren bestehende Hormon abgebaut. Sollte es dennoch in den Körper gelangen, so könne es nicht wirken, da es mit dem menschlichen Wachtumshormon nicht identisch sei und es keine entsprechenden Bindungsstellen gebe.

Nicht untersucht wurde bisher jedoch, ob Bruchstücke des rBST eine bisher unbekannte biologische Wirkung haben. Dabei müsse auch beachtet werden, so heißt es in dem Papier, daß das gentechnisch hergestellte Rinderwachstumshormon nicht völlig identisch mit dem natürlichen sei. Es unterscheidet sich in einigen wenigen Bausteinen. Bisher gebe es jedoch keine Daten darüber, ob damit auch eine veränderte Wirkung einhergehe.

Eine weitaus größere Gefahr könnte jedoch von einer anderen Substanz ausgehen, die in der Milch von rBST-Kühen in erhöhter Konzentration gemessen wird. Der ebenfalls aus Aminosäuren bestehende Insulin-like Growth- Faktor 1 (IGF-1) hat eine wichtige Funktion bei der Entwicklung und den Wachstumsprozessen von Embryonalzellen. Im Gegensatz zum BST hat er sich während der Evolution kaum verändert. Er ist bei Kühen, Schweinen und Menschen chemisch identisch. Auch beim IGF-1 argumentierte Monsanto damit, daß die Substanz im Magen vollständig verdaut werde. Neuere Untersuchungen zeigen aber, daß der Faktor gebunden an Milcheiweiß auch die aggressiven Verdauungsenzyme im Magen überstehen kann.

Selbst in pasteurisierter Milch, die für 45 Sekunden auf 79 Grad erhitzt wurde, ist das intakte Molekül nachweisbar. In Abhängigkeit vom Zeitpunkt der Messung schwankt zwar der Gehalt an IGF-1 in der Milch sehr stark. Besonders hoch ist die Konzentration kurz nach dem Kalben am Anfang der Laktationsperiode. Das zusätzlich zugeführte Rinderwachstumshormon kurbelt die IGF-1-Produktion noch weiter an. In der Milch von einzelnen Tieren konnte eine Konzentrationssteigerung von bis zu 70 Prozent nachgewiesen werden.

Neuere epidemiologische Studien lassen vermuten, daß IGF-1 beim Menschen an der Enstehung von Brust- und Prostatakrebs beteiligt sei, berichten die Brüsseler Experten. Diese Studien wurden noch mit herkömmlichen Milchprodukten durchgeführt. Ob durch rBST das Krebsrisiko noch erhöht wird, müssen erst noch weitere Untersuchungen erweisen. In der Ausschußstellungnahme wird hier ein Forschungsbedarf reklamiert.

Das Bonner Gesundheitsministerium jedenfalls hat bereits reagiert. Es ist in Brüssel bei der EU- Kommission vorstellig geworden, damit im Laufe des Jahres noch rechtzeitig ein Vorschlag für die Verlängerung des EU-Moratoriums vorgelegt wird. Sollte von der EU-Kommission kein entsprechendes Papier vorgelegt werden, wird das Moratorium Ende des Jahres einfach auslaufen. Einer Zulassung des Rinderwachstumshormons durch die europäische Arzneimittelbehörde in London stände dann nichts mehr im Wege.

Für Hiltrud Breyer, Europaabgeordnete der Grünen, ist es unverständlich, daß Monsato angesichts der gesundheitlichen Risiken immer noch die Zulassung von Polisac als Medikament betreibt. Dabei gebe es noch nicht einmal eine Krankheit, die damit behandelt werden soll. Es soll nur als Leistungssteigerer eingesetzt werden. Ihr geht auch das Moratorium noch nicht weit genug. Sie fordert, daß künftig in der Europäischen Union nicht nur die Anwendung des rBSTs untersagt bleibt, sondern daß auch keine Produkte von rBST-behandelten Tieren verkauft werden dürfen. Denn das zur Zeit bestehende Moratorium verbietet nicht, daß rBST-Fleisch oder -Milch in die Mitgliedsstaaten der EU importiert werden. „Darüber hinaus“, so Breyer, „muß es ein klares Produktionsverbot in der EU für das Rinderwachstumshormon geben.“ Denn es sei doch absurd, daß einerseits die rBST-Anwendung in Europa verboten wird, andererseits aber das Milchhormon in der EU produziert werde. Seit Jahren schon wird im österreichischen Kundl der Wirkstoff für Monsantos Posilac produziert.