■ Der Sonderparteitag der Bündnisgrünen zum Kosovo kommt zu spät
: Ein Himmelfahrts-Kommando

Jetzt, wo die komplexe Frage, wie die Menschenrechte auf dem Balkan nachhaltig gewahrt werden können, auf die Alternative der Beendigung oder der Fortführung der Nato-Bombardements reduzierbar scheint, jetzt endlich sind die Grünen wieder in ihrem Element. Sie werden kämpfen: mit sich selbst.

Denn nur äußerlich ist die Partei bisher ruhig; in ihrem Innersten aber gärt es: In Berlin tritt ein Landesvorstandsmitglied zurück, in Hamburg demonstriert eine Parteisprecherin vor dem US-Konsulat, der Bundesvorstand quält sich mit widersprüchlichen Kompromißformeln ab. Das verdrängte Dilemma einer sowohl auf Menschen- und Bürgerrechtsbewegung als auch auf Pazifismus gegründeten Partei bricht auf. Mit der Einberufung der außerordentlichen Bundesdelegiertenkonferenz zum 13. Mai hat der Bundesvorstand also freiwillig getan, wozu ihn die Partei sowieso schon bald gezwungen hätte.

Ironie des Kalenders: Am 13. Mai ist Himmelfahrt. Und tatsächlich haben die Grünen sich zu einem Himmelfahrts-Kommando entschlossen: Denn ohne bislang größere Debatten geführt zu haben, stolpert die Partei mit der Einberufung des Treffens in eine Entscheidungssituation hinein. Doch leider entscheidet ein grüner Parteitag nicht, ob der Balkankrieg aufhört oder weitergeht – selbst wenn das einige Mitglieder in Selbstüberschätzung meinen. Die Frage ist vielmehr: Was ist mit der grünen Regierungsbeteiligung?

Eine bizarre Parallele zum Verhalten der Nato gegenüber Serbien: Den Grünen bleibt nur die Entscheidung über Eskalation oder Kapitulation. Beides hat Folgen, die kaum ein Grüner will. Die Eskalation wäre ein Beschluß gegen die Nato. Damit würde die Partei ihrer Fraktion und ihren Ministern das Vertrauen entziehen. Die Folge wäre entweder das Ende der Koalition – oder die Spaltung der Grünen in zwei ebenso bedeutungslose wie verfeindete Parteien. Wahrscheinlicher ist die Kapitulation: Unter allseitigen Schmerzensbekundungen delegiert die Partei einmal mehr alle Verantwortung an ihre Bonner Spitzenleute. Und zieht sich ins Schneckenhaus zurück.

Die Grünen haben sich durch mehrere Fehler in diese Situation hineinmanövriert: Erstens hat sich der „faktisch parteilose Außenminister“ (FAZ) Joschka Fischer zu weit von seiner Partei entfernt. Mit seiner Rede, es gebe „keine grüne, nur eine deutsche Außenpolitik“, behindert er eine grüne Außenpolitikdebatte. Der zweite grüne Fehler war es, genau wie die Nato und wie auch Jugoslawiens Präsident Milošević den westlichen Drohungen gegen Serbien nicht zu glauben – erst jetzt, da der Krieg begonnen hat und die Glaubwürdigkeit der Nato und das Überleben der Kosovo-Albaner akut gefährdet sind, veranstalten sie einen Sonderparteitag. Wenn es nicht so bitter wäre, könnte man lachen. Und Gorbatschow zitieren: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“

Der dritte Fehler: Die Grünen sind traumatisiert, seitdem die Nato genauso wie ihr eigener Pazifismus dabei versagt haben, die Massaker von Srebrenica zu verhindern. Heute sehen sie im Krieg gegen die Serben in erster Linie die Wiederholung des Bosnienkrieges. Das hat Gründe: Der Kriegsgegner ist derselbe. Übersehen wird aber, daß der Kosovo-Konflikt nicht derselbe ist wie der bosnische.

Die Tragik des grünen Sonderparteitags zum Krieg gegen Serbien ist also eine doppelte. Zum einen: Die grüne Partei kann dabei nur verlieren. Sei es, daß sie ein Nullergebnis produziert, sei es, daß sie aus ihrer „stillen Sehnsucht nach Opposition“ (Joachim Raschke, taz) eine laute macht – und damit ihre politischen Handlungsmöglichkeiten drastisch reduziert.

Schlimmer aber ist, daß es für die Entwicklung auf dem Balkan völlig gleichgültig ist, wie der bevorstehende innergrüne Streit ausgeht. Die Delegierten, hauptsächlich Hardliner aller Flügel, werden wohl kaum jetzt plötzlich lauter kluge Vorschläge für eine neue Balkanpolitik entwickeln. Statt dessen verschleißen die Grünen einmal mehr Personal und Energie in binnenorientierten Auseinandersetzungen. Und selbst wenn sie aus ihren Fehlern lernen: Es bleibt die düstere Ahnung, die Rudolf Scharping Ende März geäußert hat. Womöglich, sagte der amtierende deutsche Verteidigungsminister, gebe es im Kosovo demnächst nur noch einen „Waffenstillstand auf dem Friedhof“. Der grüne Sonderparteitag kommt Monate zu spät. Jonas Viering