„Ich bin albanisch, sie ist serbisch“

■ taz-Serie (3): Wie erleben Kosovo-Albaner den Krieg? Zwei junge Frauen erzählen, was im Krieg aus ihrer Freundschaft zu Serben wurde

Ferdone, 23, wurde in Berlin geboren. Sie arbeitete als Fremdsprachensekretärin, seit Januar ist sie arbeitslos. Ihre Freundin Zejnep, 22, stammt aus einer albanischen Familie aus Makedonien. Beide besuchten eine deutsche Schule in Berlin-Wedding und hatten serbische Freunde. Bis der Krieg ausbrach.

Hatten wir das nicht schon einmal? Nationalismus, Haß, Krieg. „Warum hat sich nicht der Schrecken des Nationalsozialismus ein für allemal in den Köpfen der Menschen gesetzt? Warum laufen heute Menschen wieder einem Diktator hinterher?“ Ferdone kann sich Gewalt und Haß der Serben nicht wirklich erklären. Ihre Freundin Zejnep sucht nach Zusammenhängen. Vielleicht liegt es an der Erziehung. „Überall haben die Serben doch erzählt: Das Kosovo ist serbisch, das Kosovo bleibt serbisch.“ Die Mär von Volk und Raum – seit Generationen habe sich der nationalistische Gedanke in die Köpfe der Serben gefressen. Da sitzt er fest, und nichts kann daran rütteln. Egal wie alt die Serben sind. Egal wo sie leben, meinen Ferdone und Zejnep.

Die lauernde Skepsis und den Widerwillen den Albanern gegenüber habe sie schon in der Grundschule gespürt, sagt Ferdone. „Immer wenn meine serbische Freundin Jasmina mich mit nach Hause genommen hat, stellte ihre ältere Schwester nationalistische Tschetnik-Lieder an.“ Ferdone spricht zwar kein Serbokroatisch, verstand aber, gegen wen sich die Töne vom großen serbischen Reich richteten. „Meine Freundin hat mir zwar immer gesagt: Nimm's nicht so ernst, meine Schwester spinnt.“ Ferdone fühlte sich in der serbischen Familie nicht wohl, auch wenn die serbische Mutter sie herzte und küßte. „Meine Eltern haben mir aber nie den Kontakt zu Serben verboten, nur einmal, als ich zum Geburtstag dorthin ging, sagte mein Vater: Hoffentlich kommst du nicht mit einem Serben nach Hause.“

„Instinktiv wußten wir, daß wir über Politik nicht reden können. Im Inneren wußte jede: Ich bin albanisch, sie ist serbisch. Aber das Thema war absolut tabu. Jasmina und ich mochten uns und wußten, wir werden uns gegenseitig verletzen, wenn wir darüber reden.“ In der Schule gedachten sie Tito, gemeinsam feierten sie die Staatsgründung Jugoslawiens. Serben, Kroaten und Albaner. Multikultifeste. „Daß wir Albaner immer in der hintersten Reihe stehen mußten, kam mir zwar komisch vor, aber auch nicht mehr“, sagt Ferdone. Das echte Jugoslawien war weit weg von Berlin.

Das zerfallene Jugoslawien wurde Ferdone in diesem Februar bewußt. Als Milošević begann, die Albaner im Kosovo zu traktieren. „Da wußte ich, ich kann nicht mehr. Ich kann meiner serbischen Freundin nicht mehr in die Augen schauen. Ich will sie nicht mehr sehen.“ Nach zehn Jahren trennte Ferdone sich von Jasmina. Wortlos. „Es tut weh, aber momentan ist es mir egal.“ Warum hat Jasmina sich nicht erklärt? Warum glaubt sie dem Verbrecher Milošević, warum demonstriert sie nicht gegen den Völkermord? Fragen bedrängen Ferdone, aber Jasmina anrufen will sie nicht. „Das nützt nichts.“

Hinter der Mauer des Schweigens rücken Albaner in Berlin näher zusammen. Für Serben ist da vorläufig kein Platz mehr. Zejnep sagt: „Ich würde mich hüten, jetzt einen Serben kennenzulernen.“ Wenn sie an der Bushaltestelle serbische Worte hört, „dreht sich mir der Magen um“. Daß Serben beim Ostermarsch in Berlin aus Kanzler Schröder ein Hitler-Gesicht gemacht haben, „finde ich widerlich“. Sprachlos fühlen sich die beiden Frauen, „wir trudeln in einem schwarzen Loch“. Die serbische Opposition könnte ihnen helfen, ihre Worte wiederzufinden. „Wenn es doch nur jemand gäbe, der sich öffentlich gegen Milošević stellen würde, dann bekäme ich wieder Hoffnung“, sagt Zejnep. Doch die Aufmüpfigen in Belgrad sind verstummt, und in Berlin hat Zejnep noch niemanden gefunden. Annette Rogalla