„Wer die Leute rausholt, tut genau, was Milošević will“

■ Frankreich, Großbritannien und Italien wollen sich die Flüchtlinge möglichst vom Hals halten

Wem hilft, wer Flüchtlinge aus dem Kosovo aufnimmt? Diese Frage über das Schicksal von Hunderttausenden von Menschen auf dem Balkan spaltet seit dem Wochenende die Waffenbrüder der Nato. Frankreich, aber auch Italien und Großbritannien haben dazu eine ganz andere Meinung als Deutschland und die USA, die bereits angekündigt haben, wie viele Menschen aus dem Kriegsgebiet sie aufnehmen wollen.

„Wer die Leute aus der Region rausholt, tut genau das, was Milošević will“, sagt die britische Ministerin für internationale Entwicklung, Clare Short. „Wenn sich die Flüchtlinge über ganz Europa verteilen, ermuntert das die ethnische Säuberung im Kosovo“, erklärt der italienische Präsident Massimo d'Alema. „Wir dürfen uns nicht von Milošević vor die vollendete Tatsache der Deportation stellen lassen“, meint der französische Premierminister Lionel Jospin. Frankreich und Großbritannien weigern sich, große Gruppen von Flüchtlingen aufzunehmen. Paris, wo der konservative Staatschef Jacques Chirac und der sozialdemokratische Premierminister Jospin auch in dieser Frage an einem Strang ziehen, will „nach Fallprüfungen“ entscheiden.

Sowohl in Großbritannien als auch in Frankreich, die im Verhältnis zu Deutschland nur eine relativ kleine Immigrationsrate aus Ex- Jugoslawien haben, wollen vor allem die Hilfe an die Anrainerstaaten des Kriegsgebietes intensivieren. Mit der Aufgabe, diese Möglichkeiten zu prüfen, reiste vergangene Woche der Pariser Kooperationsminister Charles Josselin nach Makedonien und Albanien. Dort wurde er immer wieder mit dem Wunsch nach ökonomischer Unterstützung für das „zu 60 Prozent von Jugoslawien abhängige“ Makedonien und mit der vor allem in Albanien häufigen Forderung nach „Waffen für die UÇK“ konfrontiert. Über die internationale Hilfe bei der größten Fluchtbewegung in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges schreibt Josselin in einem gestern Libération veröffentlichten Artikel von der „Unfähigkeit des UNHCR“.

Der albanische Staatspräsident Rexhep Meidani hält die französische und britische Position, Flüchtlinge nicht aus der Region herauszunehmen, für richtig, denn: „Alles andere wäre eine Ermunterung für die Verbrechensmaschinerie der ethnischen Säuberungen.“

Innerhalb der rot-rosa-grünen Regierung in Paris freilich ist die Position der Nicht-Aufnahme von Flüchtlingen umstritten. Die KPF, deren drei MinsterInnen seit Kriegsbeginn für ein Ende der Nato-Bombardements und für eine UN-geführte europäische Interventionstruppe im Kosovo plädieren, präzisierte gestern: „Die Flüchtlinge müssen zurückkehren können.“ SprecherInnen verschiedener französischer Menschenrechtsorganisationen und linker Parteien nannten Jospins Position gestern „zynisch“ und ein „durchsichtiges Manöver“. Tatsächlich, so ihr Verdacht, wolle Jospin mit der Ablehnung von Flüchtlingen vor allem seinen kriegskritischen Innenminister Jean-Pierre Chevènement besänftigen, denn der will überhaupt keine Sans Papiers in Frankreich haben – egal woher sie kommen. Dorothea Hahn, Paris