„Die Luftangriffe der Nato sind nur Nadelstiche“

■ Der Politikwissenschaftler Matthias Dembinski, bei der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung zuständig für die Nato, befürwortet den Einsatz von Bodentruppen im Kosovo

taz: Mehrere Nato-Staaten haben inzwischen ihre Elitetruppen in den Nachbarländern des Kosovo stationiert, die USA haben „Apache“-Kampfhubschrauber nach Albanien verlegt. Bereitet die Nato etwa schleichend den Einsatz von Bodentruppen im Kosovo vor?

Matthias Dembinski: Ja, das ist in der Tat ein schleichender Prozeß. In dem Maße, in dem die tief fliegenden „Apaches“ zum Einsatz kommen und möglicherweise abgeschossen werden, erhöht sich der Druck, Bodentruppen einzusetzen. Die Nato bereitet langsam die entsprechende Infrastruktur dafür vor.

Warum reichen Luftangriffe nicht aus, um Milošević zum Einlenken zu bringen?

Mit Luftangriffen alleine läßt sich ein Land, das an einer bestimmten politischen Linie festhält, nicht bezwingen. Das war schon die Erfahrung im Zweiten Weltkrieg und im Vietnamkrieg und ist auch die Erfahrung, die die USA gegenwärtig im Irak machen. Denn die militärische Handlungsfähigkeit eines Landes läßt sich durch Luftangriffe nicht zerstören. Luftangriffe sind nur Nadelstiche. Mit Bodentruppen dagegen kann man die gegnerischen Truppen vor Ort vertreiben oder umbringen, das Land befreien und es besetzen.

Sind denn Bodentruppen jetzt die einzige Lösung, um den Kosovo-Konflikt zu beenden?

Der Beschluß der Nato, den Krieg anzufangen war meines Erachtens ein katastrophaler Fehler. Aber wenn das Bündnis die Verantwortung übernimmt, dann richtig. Deshalb bleibt der Nato jetzt nichts anderes mehr übrig, als Bodentruppen einzusetzen – unter deutscher Beteiligung.

Setzt der Einsatz von Bodentruppen eigentlich eine offizielle Kriegserklärung der Nato voraus, die es bislang nicht gibt?

Formal gesehen bedarf auch der Einsatz von Luftstreitkräften eines Mandates, einer Berechtigung. Die Nato kann sich inzwischen aber auf die Begründung berufen: Hier findet ein Genozid statt. Das war vor zwei Wochen noch nicht der Fall. Als Alternative könnte die Nato aber auch eine Exilregierung von Kosovo-Albanern anerkennen, die dann die Nato um Beistand bittet.

Muß der Bundestag für den Einsatz von Bodentruppen einen neuen Beschluß fassen?

Selbstverständlich. Denn der Beschluß vom Oktober bezog sich nur auf Luftangriffe.

Wie viele Soldaten braucht die Nato für eine Bodenoffensive?

Nach eigenen Angaben mindestens 200.000 Mann. Das erscheint mir allerdings sehr hoch gegriffen. Aber es müssen in jedem Fall wesentlich mehr Soldaten sein, als zur Zeit da sind. Vermutlich wird es schneller gehen, sie in der Region zu stationieren, als beim Golfkrieg. Damals brauchten die USA und ihre Verbündeten ein halbes Jahr, um 500.000 Mann ins Mittelmeer zu bringen.

Durch den Einsatz von Bodentruppen wird sich der Krieg vermutlich verlängern. Mit welchem Zeitraum muß man rechnen?

Das hängt vom Szenario ab, das eintritt. Wenn man sich vorstellt, daß das Kosovo wirklich entvölkert wird und die Nato vor dem Einsatz von Bodentruppen mit Flächenbombardements versucht, serbische Verbände zu schwächen, würde das lange dauern. Mit dieser Strategie könnte die Nato die eigenen Verluste minimieren – dazu tendieren Nato-Staaten. Ein anderes Szenario wären schnelle raumgreifende Offensiven. Wenn die Nato kalkuliert, daß die Moral der serbischen Armee doch nicht so gut ist, wird sie sich dafür entscheiden. Das wäre dann eine Sache von Tagen. Möglicherweise wird die Kampfkraft der serbischen Armee dramatisch überschätzt.

Wann ließe sich ein solcher Krieg wieder beenden?

Das Abkommen von Rambouillet ist mittlerweile ohnehin Makulatur. Es gibt nur ein einziges Szenario: Das Kosovo wird abgetrennt. Es ist nicht vorstellbar, daß das Kosovo im jugoslawischen Staatsverband verbleibt. Das heißt, wenn die Nato Bodentruppen einsetzt, werden die die serbischen Streitkräfte zurückdrängen und im Kosovo ein militärisches Protektorat aufziehen. Die Probleme, die sich dann allerdings stellen, sind der zivile Wiederaufbau und die politischen Konsequenzen.

Was bedeutet der Einsatz von Bodentruppen für die Zivilbevölkerung im Kriegsgebiet?

Für die albanische Zivilbevölkerung wahrscheinlich gar nicht viel, weil sie vertrieben ist. Für die serbische Zivilbevölkerung, das sind bis zu 300.000 Menschen, könnte das brutal werden. Vor allem, wenn die Nato zuvor in der Fläche bombardiert. Außerdem wird die Nato davon ausgehen, daß sich die serbischen Soldaten in den Dörfern verschanzen. Um eigene Verluste zu minimieren, könnte sie so vorgehen wie die russische Armee in Grosny: Sie zerstört die Dörfer komplett. Die Zahl der Opfer wäre dann sehr hoch. Interview: Jutta Wagemann