: Nagel in der Stirn
Gegen das reaktionäre Singspiel: der Komponist Luigi Nono und sein radikales Werk „Al gran solo“ ■ Von Eberhard Spohd
Die Stille. Hören ist sehr schwierig. Statt die Stille zu hören, statt die Anderen zu hören, hofft man noch einmal, sich selbst zu hören. Dies ist eine Wiederholung, die akademisch, konservativ, reaktionär wird. Das ist eine Mauer gegen die Ideen, gegen was, was man heute noch nicht erklären kann.“ Mit diesen Worten faßte Luigi Nono in einem Vortrag sein musikalisches Denken zusammen. Seine ästhetische und, ex negativo, seine politische Haltung. Luigi Nono ist kein Spaß. Die Musik des venezianischen Komponisten ist anstrengend, seine Mittel kontrovers, meist zwölftönend. Seine politische Haltung radikal.
„Es macht keinen Unterschied, ob ich eine Partitur schreibe oder einen Streik organisieren helfe. Das sind nur zwei Seiten einer Sache.“ Mit solchen Aussagen stieß der überzeugte Kommunist den konservativen Musikzirkeln, vor allem den Freunden gepflegten Belcantos, sein Anliegen wie einen Nagel in die Stirn: Seine Werke kreisen thematisch immer um politische und soziale Ungerechtigkeit. Seine Arbeit war politisch, und Musik war für ihn Arbeit, keine Kunst.
Am Sonntag feiert Al gran sole carico d'amore (An der großen Sonne, von Liebe beladen), die zweite Oper Nonos und am 4. April 1975 an der Mailänder Scala uraufgeführt, in der Hamburgischen Staatsoper Premiere. Der Venezianer verbat sich allerdings immer den Ausdruck Oper für seine musiktheatralischen Werke: Er nannte sie lieber „Azione scenica“. Oper war ihm ein völlig irreführender Begriff, verwies auf eine durchgehende Handlung und ein durchkomponiertes Stück, während seine Werke für die Bühne den gängigen Vorstellungen völlig widersprechen. Dabei waren gerade die Opernhäuser für Nono ein wichtiges Medium, um seine Botschaften zu vermitteln und Neue Musik in eindeutig politischem Sinn zu etablieren.
Al gran sole ist eine Synthese aus Nonos Schaffen bis 1975 und schließt gleichzeitig eine Phase seiner Arbeit ab. Verhuscht, aber manchmal auch ganz offen, sampelt er sich selbst und verweist auf sein Werk bis zu diesem Zeitpunkt. Der Text entsteht aus Zitaten von Bertolt Brecht oder der Internationalen, der Titel stammt aus Arthur Rimbauds Gedicht „Die Hände der Jeanne Marie“. Nono wird nach Abschluß von Al gran sole ein anderer. Verhalten endet die Azione scenica mit einer Zeile aus der Internationalen. In den folgenden drei Jahren schuf Nono nur noch ein Stück zum Tode seines Freundes Luigi Dallapiccola.
Ingo Metzmacher, der musikalische Leiter der Hamburgischen Staatsoper, folgt einer guten und einer schlechten Tradition an der Dammtorstraße, wenn er Nonos Al gran sole aufführt. Die gute: Zwei Jahre nach der Uraufführung von Helmut Lachenmanns Mädchen mit den Schwefelhölzern will er weiter den Weg weisen, den das moderne Singtheater gehen könnte. Sein Mut, ein schwieriges Werk auf die Bühne zu bringen, ist bewundernswert, folgt aber ganz dem Streben des Dirigenten, dem Publikum neue Arbeiten nahezubringen. Die schlechte: Vor 14 Jahren versuchte sich Günter Krämer, unter der musikalischen Leitung von Hans Zender, an Nonos erster Azione scenica, der Intolleranza 1960 – und scheiterte großartig. Eine völlig verrätselte und wesentlich von falsch übersetzten Passagen ausgehende Aufführung fiel glatt durch. Sie gemahnte eher an eine phantasievolle Opernproduktion denn an den politischen Akt. Den jedoch hatte der Komponist im Auge.
Metzmacher wird es schon richten. Seine behutsame Herangehensweise, seine akribische Arbeit an der Partitur und das Engagement, das er bislang in Hamburg an den Tag legte, versprechen, daß etwas nie Gehörtes und Gesehenes auf der Bühne entsteht. Das ist es auch, was Nono wollte: „Man liebt den Komfort, die Wiederholung, die Mythen; man liebt es, immer wieder dasselbe zu hören, mit jenen kleinen Unterschieden, welche erlauben, die eigene Intelligenz zu beweisen. Musik hören. Das ist sehr schwierig. Ich glaube, daß das heute ein sehr seltenes Phänomen ist“.
Zur Premiere von „Al gran sole“ gibt es ein Begleitprogramm. Morgen, 20 Uhr, Musikhalle: Luigi Nono, „Liebeslied“ für gemischten Chor und Instrumente; Hans Zender, „Schumann-Fantasie“; Luigi Nono, „Como una ola de fuerza y luz“. Sonnabend, 20 Uhr, Studio 10 des NDR: Luigi Nono, „Fragmente – Stille, An Diotima“ und „La lontanza nostalgica utopica futura“. Sonntag, 18 Uhr, Staatsoper: Premiere von „Al gran sole“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen