Das Flaggschiff läuft jetzt stündlich aus

Die meistgesehene Regionalsendung Deutschlands, die „Abendschau“ des SFB, gibt es nun auch morgens, insgesamt elfmal am Tag. Das Konzept des Quotenstars bleibt bewährt bodenständig und bietet kaum Überraschungen  ■   Von Philipp Gessler

Aufmerksamen Spaziergängernmag gestern nachmittag ein junger, attraktiver Mann in schickem schwarzem Anzug in einem Auto vor einem Café in Schöneberg aufgefallen sein: Der Mann schlief! Er hatte schon einen langen Tag hinter sich, der morgens um 3.30 Uhr begann. Da nämlich mußte Jan Lerch (32) aus den Federn springen, um punkt 5 Uhr mit der Arbeit zu beginnen. Er ist Moderator der Abendschau auf B 1, die jetzt auch frühmorgens sendet.

Seit vorgestern wird das journalistische Flagschiff des SFB, die „mit riesigen Abstand meistgesehene Regionalsendung Deutschlands“, wie Lerch betont, insgesamt elfmal täglich ausgestrahlt. Fast stündlich ab sieben Uhr morgens bis abends um zehn. Praktisch jede volle Stunde jeweils zehn Minuten, die Hauptausgabe der Abendschau beginnt jetzt um 19 Uhr 30 und dauert eine halbe Stunde. Es soll eine „Info-Offensive“ sein, wie es schmissig in einer Mitteilung heißt: „Die Hauptstadt aus erster Hand und stets auf dem letzten Stand.“

Doch an diesem Mittwoch, dem ersten Tag nach der Premiere, läuft es noch nicht ganz so rund, vor allem nicht morgens um sieben. Im Regieraum herrscht Anspannung, – noch zwei Minuten bis zur Sendung, Jan Lerch, steht schon im Studio. Die elektronischen Tafeln für die Staustörungen sind nicht rechtzeitig fertig geworden – „zum Kotzen“ flüstert jemand im Regieraum, aber es hilft nichts, die Sendung startet mit dem Wettermann, wie alle Sendungen. Er deutet vor dem kornblumenblauen Hintergrund des Studios auf irgendwelche imaginären Stadtteile Berlins – in der Regie wird dann elektronisch die Wetterkarte Berlins dazugemischt. Lerch bleibt cool, liest die Staumeldungen ohne die Tafeln vom Papier ab.Dann ist die Sendung zu Ende, zehn Minuten überstanden.

Stanley Schmidt, leitender Redakteur der Abendschau, wurmt das Fehlen der Tafeln für die Staumeldungen: Das sei wie beim guten Wein, erklärt der weißhaarige Mann: Mit 40 Mark sei es nicht schwer, einen guten zu kaufen, mit acht Mark in der Tasche „muß man sich schon auskennen“. Für die vielen Sendungen soll möglichst wenig Geld ausgegeben werden. Er sei ja eigentlich ganz froh, daß es nicht ganz geklappt hat, grummelt er danach vor sich. Das zeige, daß man zwei Arbeitsschichten auch für die Leute, die Hintergrundbilder produzieren, brauche. Lerch ist nicht betrübt über die kleine Panne von eben. Außer Fernsehleuten falle so etwas eh niemanden auf, insgesamt sei der erste Tag „pannenfrei“ gelaufen. „Die Sendung läuft rund“, sagt er.

Seit 40 Jahren läuft die Abendschau schon rund, an ihr kommt kaum jemand vorbei, wenn es um Nachrichten in der Hauptstadt geht. Vor allem die Parteipolitik der Hauptstadt lichtet sie ab – in einer Ausführlichkeit, die leicht auf den Geist gehen kann. Kein Wunder, daß der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) zum 40. Geburtstag der Sendung im vergangenen Jahr lobte: „Die Abendschau ist für mich die wichtigste Informationsquelle. Wann immer es zeitlich möglich ist, schalte ich die Sendung ein.“ Klaus Böger, SPD-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus pries gar ihren „kritischen Journalismus“.

Eine gewagte Aussage: Vielen gilt die Abendschau als muffig, spießig und allzu staatstreu. Anfang des Jahres wurde beispielsweise bekannt, daß der damalige Abendschau-Chef Harald Prokosch auch deshalb aus dem Haus schied, da er nach Informationen aus dem Sender nicht den Erwartungen der konservativen Kreisen entsprochen hatte, die ihn auf seinen „schwarzen Stuhl“ gebracht hatten. Der Abendschau-Redakteur Wolfgang Kandeler war 1997 kurzzeitig von seinem Posten als verantwortlicher Redakteur entbunden worden, nachdem sich CDU-Fraktionschef Klaus Rüdiger Landowsky sich beim damaligen Fernsehdirektor und jetzigem Intendanten Horst Schättle über ihn beschwert hatte.

Kandeler ist jetzt weiterhin dabei: Er ist als verantwortlicher Redakteur für die neuen Sendungen am Nachmittag zuständig. „Wider Erwarten“ sei er mit dem ersten Tag zufrieden gewesen. Man müsse nur aufpassen, daß man ob der vielen neuen Sendungen und dem Zeitdruck nicht inhaltlich verliere.

Inzwischen hat Stanley Schmidt an diesem Tag das gröbste überstanden, auch die Elf-Uhr-Sendung ging fast ohne Pannen über den Äther. Den Vorwurf der Staatsnähe kontert er mit dem Hinweis, daß man nun einmal in einer Parteiendemokratie lebe. Die Muffigkeit des Programms: Man nehme bei so einer erfolgreichen Sendung bewußt nur „behutsam Veränderungen“ vor – außerdem gehöre „das ganz junge Publikum nicht unbedingt zu unserem Stammzuschauern“.

Übrigens: Jan Lerch wurde in seinem Auto schon einmal von der Polizei aus dem Schlaf gerissen – wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses“, nicht aber wegen seiner Sendung.