Jüdisches Museum kommt jetzt in Etappen

■ Für die Dauerausstellung des Jüdischen Museum liegt ein Programm vor, aber Exponate sind Mangelware. Zudem streiten sich andere Einrichtungen um mögliche Dokumente

Zu den Merkwürdigkeiten der hauptstädtischen Museums-Events zählt derzeit, daß Besucher en masse durch ein Museum ohne Ausstellung strömen. Wann immer im neuen Jüdischen Museum Führungen angeboten werden, sind diese ausgebucht. Schüler, Studenten, Bau- und Kunstfans oder Touristen flanieren staunend durch das gezackte Gebäude des Architekten Daniel Libeskind, als wäre es eine begehbare Plastik: Man drängt durch unterirdische Straßen, schmale Hallen und Räume, über Brücken und durch Leerräume – die sogenannten „Voids“ – und bestaunt die pure Architektur. „Der spektakuläre Bau ist ein Ereignis“, sagt Tom Freudenheim, stellvertretender Direktor des Jüdischen Museums. „Ich hoffe aber, daß die Besucher ebenso zahlreich kommen werden, wenn wir eingerichtet sind.“

Freudenheim baut seit ein paar Wochen die Sammlung für das Museum auf und arbeitet am Konzept für das Haus, das Ende 2000 eröffnet werden soll. Leicht ist die Aufgabe nicht, denn die zur Verfügung stehenden Exponate halten sich in Grenzen: 350 jüdische Kultgeräte wie Leuchter, Thora-Vorhänge und -Schilder liegen im Depot, ebenso Kunstwerke, Graphiken und Porträts jüdischer Maler wie Ludwig Meidner, Lesser Ury oder Felix Nußbaum, außerdem Bücher jüdischer Verlage und Karten der Palästina-Sammlung von Loewenhardt-Hirsch. Dazu kommt noch ein Archiv mit Briefen, Nachlässen, Fotos und Dokumenten jüdischer Familien vom 18. Jahrhundert bis in die Zeit des Holocausts. Enorm viel sei das nicht, konstatiert Freudenheim, angesichts der Tatsache, daß hier „das zentrale Museum für die Geschichte der Juden in Deutschland“ entstehen soll.

Weil das Jüdische Museum „kein Holocaust-Museum“, sondern ein Haus für die Geschichte jüdischen Lebens und Sterbens – von der „Römerzeit bis heute“ – wird, wie der Direktor Michael Blumenthal betont, bedeutet der Aufbau einer Sammlung einen Kraftakt, für den langer Atem nötig ist. Schon die Umsetzung des Konzepts, das Freudenheim auf den Tisch gelegt hat, benötigt Zeit. Auch deshalb, weil die finanzielle Ausstattung nicht üppig ist: Dem Kurator steht für 1999 nur ein Etat von rund 10 Millionen Mark zur Verfügung, in dem auch die Personalkosten enthalten sind. Darum räumt Freudenheim ein: Bis das Programm steht, können „sich gut fünf Jahre“ hinziehen.

Die Museumsleitung plant deshalb in Etappen. Als „erstes Kapitel“ der Dauerausstellung eröffnet das Haus mit der jüdischen Geschichte zwischen 1848 und 1919, einer Phase, in der jüdisches Leben in Deutschland besonders aktiv gewesen war. Kapitel über die Weimarer Republik, die Nazizeit und andere Epochen sollen folgen. Das Defizit an Exponaten sucht das Museum dadurch auszugleichen, daß jüdische Geschichte nicht hauptsächlich über Objekte mitgeteilt wird, sondern sich literarischer Strukturen bedient und Inhalte „erzählt“. „Das Jüdische Museum wird ein narratives Museum“, erklärt Freudenheim. Berichtet werden soll über die jüdische Geschichte anhand von Texten, aber ebenso mittels neuer Medien, etwa Videos, Datenbanken et cetera.

Eine zusätzliche Schwierigkeit beim Aufbau der Sammlung liegt jedoch darin, daß andere Institutionen in der Stadt, deren thematische Schwerpunkte die Zeit des nationalsozialistischen Terrors sowie des Holocausts reflektieren, zu Konkurrenten des Jüdischen Museums werden. Reinhard Rürup, Direktor der „Topographie des Terrors“ hatte auf dieses Problem schon früher hingewiesen. Die Besonderheiten der Berliner Denkmallandschaft, nämlich mit Ausstellungs-, Dokumentations- und Forschungseinrichtungen zwar spezifische Themenfelder zu besetzen, aber zugleich bei diesen Berührungs- und Überschneidungspunkte zu haben, führten zu einer Konkurrenz der Topographie, der Wannsee-Villa, dem Jüdischen Museum und dem geplanten Dokumentionszentrum „Haus der Erinnerung“ am Holocaust-Mahnmal. Aufgaben, so Rürup, die etwa die Topographie wahrnehme, könnten nicht von den anderen beansprucht werden. Deshalb sei „Klarheit“ über die Funktion der Häuser herzustellen.

Für Freudenheim wäre es beispielsweise ein Gewinn, „das Spielberg-Projekt hier im Jüdischen Museum zu haben“. Daß die große Videosammlung über Überlebende des Holocausts auch für das „Haus der Erinnerung“ interessant ist, weiß der Kurator ebenfalls. Doch wie man aus dem Konflikt herauskommen soll, ohne die anderen wichtigen Einrichtungen zu beschädigen, bleibt bislang unbeantwortet. Rolf Lautenschläger