Heller Schöngeist unter Lauterer Knallchargen

■ Ist er etwa kein Muster an beamtenhaft-scheinobjektiver Langweiligkeit und sprachlicher Einfalt? Ist er nicht. Eine Begegnung mit Fußball- und Skisprungspezialist Hans-Reinhard Scheu vom SWR

Nürnberg (taz) – Wie man da zu sechst nach der Länderspielpartie DFB–Finnland beim Italiener „Piemonte“ in der Nürnberger Zerzabelshofer Hauptstraße, vis- à-vis des ehemaligen Alten ZABO, des Platzes derer um Stuhlfauth und Morlock, hockt, seine zwei St.-Georgen-Kellerbier- Steinkrüge oder Weinkaraffen leert und schönen Anekdoten aus dem Reporterleben lauscht, ja jene Miniaturprosastücke richtig zufrieden umwölkt auf sich einwirken läßt, Balsam für die grauenhaften Wunden, die der Nationalrausch vor wenigen Stunden geschlagen hat, wenn denn Räusche Wunden schlagen; wie man da so sitzt, widerfährt einem glatt etwas die kleinteilig hergestellte Wohligkeit extra Toppendes: insofern ich ein zirka zwei Jahrzehnte lang gut genährtes Vorurteil abschreiben, revidieren und zum Teufel jagen muß; nämlich der Fußball-, Motorsport- und Skisprungspezialist Hans-Reinhard Scheu (57) vom Südwestfunk und neuerdings vom Voß-geführten SWR sei ein Muster an Langweiligkeit, beamtenhaft-scheinobjektiver Sorgfalt und daher sprachlich-darstellerischer Einfalt.

Nein, das ist er nicht, er, der, soviel sei verraten, wie nahezu jeder dem berüchtigten Betzenberg sich nähernde Mensch unter der ebenda obwaltenden Niedertracht zu leiden hat, weil ihm die Fans ungünstig auslegen, bei gebotener Gelegenheit eine miserable Vorstellung der heiligen Kühe called „Roten Teufel“ eine miserable Vorstellung zu nennen; der darob während eines Benefizspiels geschmäht und ausgepfiffen wurde und sich nur durch einen 20-Meter- Winkelschuß Luft und Erleichterung verschaffen konnte.

Scheu paßt, dachte ich trotzig töricht Saison um Saison, wenn samstags die WDR-Konferenz ihre Wundertüte öffnete, zu diesem Verein hinten im tiefsten Pfälzer Wald, zu dieser Bande quasi-mafioser Klublenker – die noch heute litaneiartig das „absolute Vertrauensverhältnis“ aller gegenüber allen predigen und stolz verkünden: „Otto ist unser Leibeigener“ (Vorstandsvorsitzender Atze Friedrich laut Bild, 1. April 1999) – und hochneurotischer Fans, den Trainerposten bestuhlender Zwangscharaktere (Rehhagel) und schiedsrichterbeeinflussender Chargen und Knalltüten; zu diesem Klub, der alle, ausnahmslos alle Stilmittel, Sozialtechniken und Medienstrategien der vormodern tümelnden Germanenmeierei zur penetranten Anwendung bringt und in die brachiale Synthese zwingt. Das dachte ich. Ich leiste Abbitte.

Scheu, am Gasttisch des „Piemonte“, hat Witz und Geist und gar französischen Esprit, ist nicht einen Deut deutsch-beflissen, nicht zähledern faktenverliebt, aktendeckeldoof, nicht verbissen und wadenbeißerisch. Sondern vielmehr derart pointenstark, daß er die Kollegen Armin Lehmann (WDR) und Günther Koch (BR) locker auskonterte und die gesamte Runde richtiggehend zum beglückenden Lachen reizte.

Später, vor dem Hotel, sprang er aus dem Wagen, schnappte sich Eimer und Wischer und polierte, während seine mehrfach getadelte „Kopfhörerfrisur“ die letzte Façon verlor, flink die Windschutzscheibe, als interessiere ihn eher Chaplin denn Chapuisat. Ich saß dahinter, prustete wie nicht gescheit und hörte den Situationskomiker zu Koch sagen: „Damit du wenigstens beim Rumgurken durchblickst.“ Das also ist Hans- Reinhard Scheu.

Sollte der distinguierte, filigrane Schlußpunktsetzer, der Jokus über Jokus in die Runde pfeffernde Artist nun aber auch rein gar nichts von seiner hellen und schnellen Freundlichkeit kommenden Reportagen einverleiben, selbst dann höre ich fortan den allzu fachlich- vornehm kommentierenden Scheu mit ganz anderen Augen. Und wünsche dennoch den Pfälzer Saukerlen keinen Sieg. Man muß standhaft bleiben. Jürgen Roth