Das Absaufen der Visionen

■ TV-Nachrichtenredakteur Udo Philipp liest heute aus seinem Buch über die Vulkanpleite

Abzuraten von einem Besuch der Lesung heute abend ist all jenen, die am nächsten morgen früh aufstehen müssen, um ihr Geld mit eigener Hand und Hirn zu verdienen. Die Motivation könnte einknicken. Zum Beispiel, wenn man erfährt, daß der edle Gönner der Künste Baron Thyssen von Bornemisza, dessen Konzern einst mit 25 Prozent am Bremer Vulkan beteiligt war, 500.000 Mark Leihgebühr für jene Bilder forderte, die er in die Zentrale des Vulkan hängte, und zwar zu einem Zeitpunkt, wo dessen 22.000 Mitarbeiter mehr oder weniger gesittet in die Arbeitslosigkeit übergeführt wurde – Adel schüzt nicht vor Stillosigkeit.

Oder wenn man liest, daß sich Ex-Vulkanchef Hennemann beim Ex-EU-Kommissar Bangemann revanchierte für die Unterstützung zur Akquirierung von Treuhand-Geldern durch Hilfe beim Bau einer Jacht, die ihm und einigen FDP-Kumpeln gehört. 300.000 Mark für Bauaufsicht durch eine Vulkantochter wurden nie bezahlt und sollten wohl nie bezahlt werden, läßt Philipp einen seiner Informanten behaupten.

Solche und ähnliche schöne Beispiele echter Männerfreundschaften, aber auch Belege für die ökonomisch kluge Verwertung von Liebschaften erzählt der frühere Nachrichtenredakteur von ZDF und Sat 1, der mit einem Multimediaunternehmen selber schon mal die Erfahrung eines Konkurses machen durfte. Er tut dies mit gebotenem Sarkasmus und bemerkenswerter Präzision. Auf gerade mal 220 Seiten tastet er sich durch die komplizierten Geflechte von Personenkonstellationen und Finanzierungswirrwarr. Zwischen Mutmaßung und Tatsache kann man nicht immer, aber oft unterscheiden. Wenn Hennemann durch Vorstandskollege Stebus als krankhaft machtbesessen beschrieben wird, erfährt der Leser auch, daß Stebus von Hennemann geschaßt wurde.

Nicht als Tatsache, sondern als Vermutung zu erkennen, gibt Philipp auch seine Erklärung, warum zwischen Abschußbeschluß Hennemanns im September '95 und Berufung eines Nachfolgers mysteriöse fünf Monate verstrichen: Die Commerzbank, Hauptbank des Vulkans, sei zwar jahrelang ihrer Kontrollpflicht nur fahrlässig nachgekommen, hätte dann aber im Herbst '95 die Zahlungsunpäßlichkeiten des Vulkan doch bemerkt und sich schnell noch Atlas Elektronik und diverse Schiffsbeteiligungen als Sicherheiten überschreiben lassen. Laut Konkursrecht gelten solche Kontrakte aber nur, wenn sie spätestens sechs Monate vor Konkurs erfolgen. Diese sechs Monate sollen just im Februar '96 abgelaufen sein. Allein der Verkauf von Atlas soll der Bank 500 Millionen gebracht haben. Der neue Vorstandsvorsitzende Udo Wagner soll für die drei Monate, in denen er den Konkurs einleitete, sechs Millionen Mark bekommen haben. Untergehen kann schön sein.

Als Hennemann 1987 das Vulkanruder übernahm, terrorisierten noch nicht die Modevokabeln „Fusionieren“ und „Beschränkung auf Kernbereiche“ die Volkswirtschaft. Sitte war damals das Diversifizieren. Der sinnlose Aktivismus mit dem Hennemann floppende Maschinenbauunternehmen zukaufte, macht Philipp mit für die Pleite verantwortlich. Doch Hennemann war nicht nur macht- sondern auch prestigesüchtig: Er legte Wert auf einen eigenen Aufzug für sein Chefzimmer und soll unter schlechter Plazierung bei Eiswette und Schaffermahl gelitten haben.

Das Buch liefert eine Psychologie des Machtmenschen, vor allem aber derer, die ihm auf den Leim gehen. Mit Visionen von einer Zukunft, in der jeder Yoghurtbecher, Erdbeeren, Haartoupes – auf Vulkanschiffen – über die Ozeane schippern, und den dazugehörigen dummen Sprüchen („Visionen sind nichts anderes als verwirklichbare Vorstellungen“) erwärmte Hennemann Politiker und Finanziers für seine Firma. Und sogar Wirtschafts- und Tageszeitungen.

Philipp zur noch im September –95 naiven Berichterstattung ausgerechnet von der FAZ: „Je größer und vermeintlich fundierter die Zeitung, desto realitätsferner zeigt sie sich.“ Mangelnde Lust zum Nachhaken bescheinigt er aber auch dem Untersuchungsausschuß, den die Bremische Bürgerschaft nach der Pleite einsetzte: „Laienschauspieler.“ „Die einzige Neuigkeit war die enge vertragliche Verstrickung zwischen Politik und Vulkan-Management. Und wen das noch überraschte, der mußte lange blind durch die Bremer Wirklichkeit gegangen sein.“ bk

9. April, 20 h, Buchhandlung Phönix, Sögestr. 46