Zidane: „Wir sind groß, wenn du groß sein mußt“

■ Das 1:1 in Manchester beweist, daß Juventus Turin italienischen Effizienzfußball zu einer höheren Kunst entwickelt hat. Wer behauptet, das sei wenig ansehnlich, hat nicht hingesehen

Manchester (taz) – Die Mehrheit der 54.500 Zuschauer war natürlich mit der Vorstellung ins Stadion Old Trafford gekommen, sie würde die neueste, vielleicht die ultimative Schau von Manchester Uniteds enthusiastischen Angriffsfußball sehen. Statt dessen hat dieses Halbfinal-Hinspiel der Champions League nur Altbekanntes bestätigt: Juventus Turin, die erfolgreichste Mannschaft Europas in den vergangenen drei Jahren, mag nur mit absurden Glück soweit vorgerückt sein, mag in der italienischen Serie A als Sechster hoffnungslos hinterherschnaufen; beim 1:1 in Manchester jedoch demonstrierten sie wieder einmal, daß keiner ein besseres Konzept für entscheidende Abende hat. „Das ist Juventus“, sagte Zinedine Zidane, der nach dreiwöchiger Verletzungspause ein Comeback zum Schwärmen gab. „Wir sind groß, wenn du groß sein mußt.“

In den vergangenen zehn Jahren erreichte bis auf eine Ausnahme (1991) immer eine italienische Mannschaft das Endspiel des Landesmeisterwettbewerbs. Die Taktik, auswärts ein Tor zu schießen und im Heimspiel keines zu kassieren, haben sie zu einer höheren Kunst entwickelt und dabei das Image aufgedrückt bekommen, ihr Effizienzfußball sei wenig ansehnlich. Wer das behauptet, hat nicht richtig hingesehen. Was Juventus in Manchester in den ersten 45 Spielminuten bot, brachte die Erinnerung an die beeindruckendste Vorführung einer italienische Elf zurück – das 4:0 des AC Mailand 1994 im Europapokalfinale gegen den FC Barcelona.

Autoritär in der Abwehr, nahe an der Perfektion im Mittelfeld. Zidane ließ sich aus dem Sturm zurückfallen, so daß Juventus mit ihm, seinem französischen Landsmann Didier Deschamps und dem Niederländer Edgar Davids in der Mitte des Feldes ständig in Überzahl gegen Uniteds Roy Keane und Paul Scholes war; das war die Basis für ihre Konter. So stand der rechte Läufer Antonio Conte plötzlich unentdeckt im Rücken von Uniteds Abwehr und vollendete eine Zidane-Davids-Kombination zum 0:1 (24.).

Bis zu Uniteds erstem richtigen Angriffsversuch sollte es noch weitere 33 Minuten dauern. In der Verzweiflung griff United zum Spielende hin auf die klassische – manche würden sagen: altmodische – Methode zurück und ließ Schmeichel die Bälle weit, hoch und unplaziert direkt in den Angriff bolzen. Das brachte fünf große Torchancen und schließlich in der Nachspielzeit den Ausgleich durch Ryan Giggs.

„Ich könnte höchstens eine Kürzung der Spielzeit beantragen“, sagte Juve-Trainer Ancelotti. Aber in Wahrheit ist es Juventus, dem so oft entscheidende Tor in letzter Sekunde gelingen. Manche mögen es Glück nennen. Wahrscheinlich ist es Perfektionismus. Nun lockt die Aussicht, daß eine Saison, die über zwei Drittel völlig verkorkst war, ein triumphales Ende nehmen könnte. Doch so weit ist es noch nicht. United sei gefürchtet für seine schnellen Konter, bekam Edgar Davids auf dem Weg in die Nacht zu hören. Seine Antwort sagte alles über Juventus' wiederhergestelltes Selbstwertgefühl. Davids sagte: „Und?“ Ronald Reng

Manchester United: Schmeichel – Gary Neville, Berg (46. Johnsen), Stam, Irwin – Beckham, Keane, Scholes, Giggs – Yorke (79. Sheringham), Cole

Juventus Turin: Peruzzi – Mirkovic, Montero (68. Ferrara), Iuliano, Pessotto – Conte, Deschamps, Davids, Di Livio (77. Tacchinardi) – Zidane – Inzaghi (88. Esnaider)

Tore: 0:1 Conte (25.), 1:1 Giggs (90.)