Algeriens Berber haben nur einen Kandidaten

■ Weil Said Sadi zum Wahlboykott aufruft, freut sich sein Rivale Hocine Ait Ahmed

Tizi Ouzou (taz) – „Boykott dem letzten Betrug des Jahrhunderts“, verkünden die Plakate, die von der Versammlung für Kultur und Demokratie (RCD) überall in der hauptsächlich von Berbern bewohnten algerischen Kabylei geklebt wurden. „Egal, wer die Präsidentschaftswahlen am 15. April gewinnt, er wird uns die Islamisten zurückbringen“, begründet der RCD-Sprecher Mohand Ikarbane in Tizi Ouzou, warum seine Partei ausgerechnet diesen Urnengang boykottiert, der mit sieben Kandifaten so pluralistisch ist wie lange keiner. Ob der direkte Gegner der RCD, Hocine Ait Ahmed, Chef der Front der Sozialistischen Kräfte (FFS), ob die beiden aus der ehemaligen Einheitspartei FLN kommenden Kandidaten Taleb Ibrahimi und Mouloud Hamrouche oder der ehemaligeAußenminister Abdelaziz Bouteflika, der das Vertrauen der Streitkräfte und des Staatsapparates genießt: eine Annäherung an die islamistischen Kräfte stellen sie alle in Aussicht. So soll das Land endlich wieder befriedet werden.

„Verrat an den Opfern des Terrorismus“ und eine „tödliche Gefahr für die algerische Republik“ sieht die RCD darin. Wie kein anderer hat Parteichef Said Sadi seine Politik auf den Kampf gegen die verbotene Islamische Heilsfront (FIS) - „die algerische Form des Faschismus“ – ausgerichtet. Der Psychiater gehörte 1992 zu den Zivilisten, die nach dem Wahlsieg der FIS öffentlich die Armee aufforderten, einzuschreiten.

Von einer Wiedereingliederung selbst der FIS ins politische Leben, wie sie Ait Ahmed und die FFS seit Beginn des Konflikts immer wieder fordern, will die RCD nichts wissen. Mit ihrer unbeugsamen Haltung gewann die RCD vor allem die Sympathien der hauptstädtischen Intellektuellen und vieler algerischer Immigranten in Frankreich. In der Kabylei selbst blieb sie trotz ihres Eintretens für Berbersprache und -kultur immer die Nummer zwei hinter der FFS.

Auf die Frage, warum sich Sadi, der bei den letzten Präsidentschaftswahlen 1995 9,3 Prozent erzielte, nicht auch dieses Mal mit seinem antiislamistischens Konzept zur Wahl stelle, wiederholt Ikarbane den Satz, der dieser Tage oft in Algerien zu hören ist: „Der Sieger steht eh schon fest: Bouteflika, der Kandidat des Staatsapparates, wird das Rennen machen, wenn nicht auf ehrliche Art und Weise, dann eben mit Wahlbetrug.“ Der RCD-Sprecher verweist auf den letzten Urnengang des Landes, die Regionalwahlen im Herbst 1997. Anschließend war es überall im Land zu Protesten gegen die allzu offensichtlichen Manipulationen seitens der Verwaltung gekommen.

In Tizi Ouzou laufen im Erdgeschoß des Parteilokals ununterbrochen Videos über die Ermordung des Berbersängers Lounes Matoub im vergangenen Sommer. Die Übertragung des Tons auf die Straße provoziert regelrechte Massenaufläufe. Auf Stellwänden erklären Zeitungsinterviews mit Said Sadi die Boykottkampagne.

Doch längst nicht alle RCD-Anhänger wollen die Haltung der Parteiführung nachvollziehen. „Ich gehe selbstverständlich wählen“, sagt ein junger Ingenieur. Wen? Ein Grinsen, dann kommt die Antwort: „Wir Berber haben nur einen Kandidaten: Hocine Ait Ahmed.“ Ob die Rentner auf dem Hauptplatz der Stadt, den der Volksmund nach Lounes Matoub getauft hat, die Studenten an der Uni, Hausfrauen beim Einkauf, die überwältigende Mehrheit bekundet ohne zu zögern ihre Sympathie für Veteranen des Unabhängigkeitskrieges gegen Frankreich, und das obwohl der 73jährige seinen Wahlkampf nach einem Herzanfall abbrechen mußte und mindestens bis zum Wahltag im schweizerischen Lausanne im Hospital liegen wird. Als Boykotteur gibt sich niemand zu erkennen.

„Wählen gehen ist das Recht und die Pflicht eines jeden Bürgers. Schließlich haben wir lange genug dafür gekämpft“, sagt ein 69jähriger Rentner. Er war während des Unabhängigkeitskrieges in Frankreich für die algerische Sache aktiv. „Von Ait Ahmed und seiner Dialogbereitschaft versprechen wir uns Frieden und mehr soziale Gerechtigkeit“, begründet ein Medizinstudent seine Stimme für den FFS-Kandidaten, dessen Plakate und Transparente in der Stadt ebenfalls ein ultimatives Ereignis ankündigen: „Die Wahlen am 15. April: Die letzte Chance des Jahrhunderts“. Reiner Wandler