Peking fühlt sich vom Westen verprellt

■ Nato-Luftangriffe verschärfen in China die antiwestliche Rhetorik

„Warum habe ich das Wesen dieses großartigen Volkes nicht früher erkannt?“ fragt sich Lü Yansong. Sonst hätte er als Belgrad-Korrespondent des chinesischen KP-Organs Volkszeitung längst gemerkt, daß das serbische Volk „der stolze Sohn der Freiheit“ sei. Dieser lasse sich lieber zerbomben, als zu kapitulieren. Während Chinas Medien die Massenvertreibungen der Kosovo-Albaner totschweigen, unterstützt die Regierung Jugoslawien nicht nur mit Worten. Bereits am 24. Februar, einen Monat vor dem ersten Nato-Angriff, blockierte China im Weltsicherheitsrat die Mandatsverlängerung für die UN-Friedenstruppen in Makedonien. Damals glaubte die Welt, Peking wolle nur Makedonien abstrafen, das diplomatische Beziehungen mit Taiwan aufgenommen hatte.

Mit den ersten Bomben auf Jugoslawien warnte Staatschef Jiang Zemin in Italien die Nato davor, den UN-Sicherheitsrat zu ignorieren. Außenminister Tang Jiaxuan, der gerade in Norwegen war, drohte mit „ernsten Konsequenzen“. Der Vorsitzende des Nationalen Volkskongresses, Li Peng, ließ beim Besuch Griechenlands und der Türkei keine Gelegenheit aus, um mit Kritik an der Nato die Gastgeber zu brüskieren. Ministerpräsident Zhu Rongji, der jetzt gerade in den USA zu Besuch ist, sagte gar, die Nato-Aktion könne zum dritten Weltkrieg führen.

Diese Entrüstung ist ungewöhnlich. Denn Peking versucht seit Jahren harmonische Beziehungen zum Westen zu entwickeln. Noch im vergangenen Jahr enthielt sich Peking beim Bombardement auf Bagdad im Weltsicherheitsrat der Stimme. Jetzt fürchtet die Regierung, militärische Interventionen zum Schutz von Minderheiten könnten Schule machen. Die Welt käme niemals zur Ruhe, schreiben Leitartikler, würde der Westen bei jeder Unterdrückung der 2.500 nationalen Minderheiten in der Welt gleich mit Bomben antworten. Auf China gemünzt hieße das Interventionen zugunsten der Tibeter oder Uiguren. Doch niemand in Peking hält dies für akut.

Alarmierender für Chinas Führung sind ökonomische Verbitterung und außenpolitische Enttäuschung. Seit die Asienkrise China darum gebracht hat, massiv zu exportieren und Kapital ins Land zu locken, verlieren Politik und Gesellschaft zunehmend die Geduld. Ökonomen suchen verstärkt die Schuld für die Krise bei westlichen Kapitalisten. Die hätten die Asiaten „verführt“, um sie dann in der Not im Stich zu lassen.

Immer barscher wird der Ton gegenüber westlichen Forderungen, China müsse seine Märkte weiter öffnen, die Menschenrechte beachten und mit den wachsenden Problemen selbst fertig werden: Massenarbeitslosigkeit, Deflation und soziale Ungerechtigkeit. Hinweise, China habe mit dem Verzicht auf eine Abwertung seiner Währung sehr zur Stabilisierung der Märkte beigetragen, ignoriere der Westen. Zugleich werde Chinas Beitritt zur WTO blockiert.

Die marxistischen Linken der chinesischen KP warnen seit langem vor der Doppelstrategie des Westens: In Europa versuchten die USA durch die Nato-Osterweiterung und in Asien mit Hilfe Japans, Süd-Koreas und Taiwans die Russen und Chinesen in Schach zu halten. Bis zum vergangenen Jahr konnte die Führung um Jiang Zemin die konfrontativen Stimmen in den eigenen Reihen besänftigen. Von der Unterzeichnung der UN- Konvention zum Schutz der politischen Bürgerrechte und dem Wohlverhalten im UN-Sicherheitsrat erhofften sich die „Reformkräfte“ ein außenpolitisches Entgegenkommen wie etwa eine globale Zusammenarbeit.

Doch diese Hoffnung hat sich zerschlagen. Zunächst in Asien, wo die USA und Japan an einem neuen Raketenabwehrsystem basteln, das — nach Lesart mancher Japaner — auch Taiwan einbeziehen soll. Und jetzt in Europa, wo die Nato ihre Angriffe ohne UNO- Mandat durchführt und China in seinem Selbstverständnis als Großmacht nicht mal um seine Meinung fragt. Damit fühlen sich die KP-Linken bestätigt, während dem Westen freundlich gesinnte Politiker lieber schweigen. Chinas Politiker wetteifern nicht mehr um Weltoffenheit, sondern um scharfe Töne gegenüber dem Westen. Der neueste Superlativ kommt von Jiang Zemin persönlich: Chinas Volksbefreiungsarmee müsse sich noch intensiver darauf vorbereiten, jeden High-Tech-Krieg gewinnen zu können. Shi Ming