„Die Nato muß auf Glaubwürdigkeit setzen“

■ Der Strategieberater Albrecht von Müller über Medienstrategien im Krieg und den Einsatz des Fernsehens zur Konfliktverhinderung: „Medienstrategien müssen militärische Strategien ergänzen“

Albrecht von Müller führt die Beratungsfirma Think Tools. Als Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Physik hat er Mitte der 80er Jahre das Sicherheitskonzept der strukturellen Nichtangriffsfähigkeit entwickelt, das von Gorbatschow und dem Westen aufgegriffen und in die Wiener Rüstungskontrollverträge eingegangen ist. Er berät Großunternehmen, Regierungen und internationale Organisationen. Für die Bundesregierung untersuchte er die Frage, wie Medien als Instrumente der Konfliktprävention und des Krisenmanagements eingesetzt werden können.

taz: Die Nato versucht auch Medien als Teil ihrer Strategie im Kosovo einzusetzen: Die US-Außenministerin hielt eine TV-Ansprache an das serbische Volk, es gibt Pläne, Sender zu bombardieren, und Versuche, TV-Frequenzen zu kapern. Kann man so Milošević' Meinungsmonopol brechen?

Albrecht von Müller: Da habe ich Zweifel. Die emotionale Mobilmachung in Serbien ist abgeschlossen. Wenn man Medienautorität aufbauen will, muß man eine glaubwürdige Stimme der Orientierung anbieten. Das muß man über einen langen Zeitraum aufbauen – nicht erst, wenn der Konflikt ausgebrochen ist. Da werden solche Aktivitäten nur noch als Propaganda wahrgenommen. Wirksam ist natürlich, Medien, die den Konflikt schüren, auszuschalten. Das sollte man mit elektronischen Mitteln tun. Ein Bombardement von TV-Stationen kann sehr negative Bilder erzeugen.

Beide Seiten im Jugoslawienkonflikt versuchen, den Kriegsverlauf über Medien zu beeinflussen. Welche Rolle können Medien in einer Konfliktstrategie haben?

Medien spielen heute eine sehr wichtige Rolle in internationalen Beziehungen und bei Konflikten. Besonders wenn sich ein Konflikt aufbaut, ist medialer Einfluß sehr wichtig. Ebenso relevant ist er am Ende, zum Beispiel, wenn einer Konfliktpartei die Unterstützung im eigenen Lager zu schwinden droht. Wenn die Waffen sprechen, spielen Medien nur noch eine untergeordnete Rolle.

Kann eine Medienstrategie nur als Teil einer militärischen Strategie Erfolg haben?

Sie kann sie im Idealfall auch ersetzen, aber paradoxerweise nur dann, wenn glaubwürdige militärische Optionen gegeben sind. Eine künftige Konzeption von Sicherheit müßte eine abgestufte Reihe von Maßnahmen umfassen, an deren Ende aber immer auch glaubwürdige militärische Maßnahmen stehen müssen, um in deren Vorfeld den politischen Bemühungen Nachdruck zu bereiten. Unter denen gehören die Medienstrategien zu den wichtigsten.

Wie können die funktionieren?

Die Anwesenheit der Medien stellt so etwas wie ein Bewußtsein der Weltöffentlichkeit her. Die Spieler wissen, daß man sie beobachtet. In Zukunft wird es extrem wichtig sein, jedem in ethnischen oder nationalen Konflikten zu signalisieren, daß er später zur Rechenschaft gezogen wird. Generell kann der Einfluß des Fernsehens eine sehr hilfreiche Funktion übernehmen. Ich behaupte, daß die friedliche Transformation Osteuropas nie so unblutig verlaufen wäre, wenn es nicht dauernde Medienpräsenz gegeben hätte.

Wie müßte eine Medienstrategie aussehen, die den derzeitigen Zielen der Nato dient?

Ich glaube, daß die Nato im Augenblick vor allem Einigkeit vermitteln müßte, auch bezüglich eines möglichen Einsatzes von Bodentruppen. Wenn Milošević vermittelt wird, daß es die Nato hier ernst meint, muß sie hoffentlich nie Bodentruppen einsetzen. Die Diskussionen in den westlichen Medien erreichen Milošović unmittelbar. Die Berichte von CNN funktionieren immer auch als Kommunikation mit der Gegenseite.

Wenn die Berichte stets ihre Rolle innerhalb der Strategie haben: Welche Chance gibt es da für unabhängige Information?

Ich sehe hier für die Nato keinen Widerspruch. Wenn es das übergeordnete Interesse ist, Menschenrechte durchzusetzen, dann kann objektive und unabhängige Information gerade ein sehr wichtiger Bestandteil der eigenen Strategie sein. In Sonderfällen kann manipulative Berichterstattung hilfreich sein, wie z.B. 1991 in Rußland, als US-TV-Sender den anfänglichen Widerstand gegen die Putschisten bewußt überzeichnet und damit massiv verstärkt haben.

Nicht nur Milošović, auch die Nato hat Falschberichte verbreitet. Teil einer Strategie?

Der Nato muß an maximaler Glaubwürdigkeit gelegen sein. Sie darf sich nicht auf eine Ebene mit Milošović begeben. Wer die Durchsetzung der Menschenrechte vertritt, muß auch eine wahrheitsorientierte Berichterstattung sicherstellen. Alles andere ist auf die Dauer verhängnisvoll.

Im Golfkrieg hat die damalige Allianz aber eine teils manipulative und restriktive Medienstrategie betrieben. Gibt es nicht einen Automatismus, der in jedem Krieg zu Desinformation führt?

Man muß unterscheiden zwischen der bewußten Verbreitung falscher Information einerseits und der Zurückhaltung von Information andererseits. Aktive Desinformation hat gerade auf der westlichen Seite, deren Ziel es ist, Werte zu vertreten, negative Langzeitfolgen. Die Restriktion von Information, wie im Golfkrieg, ist dagegen oft eine militärische Notwendigkeit.

Das Bild von dem Konflikt wird von Berichten über Massaker mitbestimmt. Wie können diese einem Ziel dienen? Wie wahrhaftig können sie dabei sein?

Natürlich ist die Nato bemüht, die Bevölkerung in den Mitgliederländern bei der Stange zu halten. Insofern haben diese Berichte auch eine Funktion in diesem Sinne. Solange sie der Wahrheit entsprechen, halte ich das aber für völlig berechtigt.

Welche medialen Deeskalationskonzepte kann man einem Terror wie gegen die Bevölkerung im Kosovo entgegensetzen?

Unbedingt wichtig ist, daß wir die Möglichkeit entwickeln, Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren. Denkbar wäre, eine Bevölkerung mit Dokumentationswerkzeugen auszustatten. Zum Beispiel mit kleinen Videokameras, die über Satellit direkt in ein UN-Lagezentrum Übertragungen einspielen. Solche Bilder kann man nicht in der Situation benutzen, weil es da auch Manipulationen geben kann. Die Bilder müßten später, gestützt durch Zeugenaussagen, ausgewertet werden.

Hätten Medienstrategien die Eskalation verhindern können?

Es hätte in der Frühphase der Konflikte in Jugoslawien eine Reihe von Möglichkeiten gegeben. Ich erinnere an die Bewegung der Mütter, bei der sich Serbinnen, Kroatinnen, Musliminnen zusammengetan und das Regime in Belgrad unter Druck gesetzt haben. Diese wurden von den westlichen Medien viel zuwenig unterstützt. Zudem müßten die Medien Einsichten über den möglichen Verlauf von Bürgerkriegen schon vor einer Eskalation ermöglichen.

Und nun?

Nach Beendigung der Kampfhandlungen könnte ich mir eine sehr wichtige Rolle der Medien vorstellen, wenn es darum geht, das Geschehene aufzuarbeiten und neue Ansätze des Zusammenlebens sichtbar zu machen und dadurch zu verstärken. Diese Herausforderungen sollte man jetzt durchdenken, um dann, wenn man sie braucht, über Konzepte zu verfügen. Interview: Lutz Meier