Keine Spur von 10.000 Menschen

■ Weiterhin völlige Unklarheit über Verbleib Tausender Flüchtlinge von der makedonisch-jugoslawischen Grenze. Belgrad berichtet von 70.000 Rückkehrern in das Kosovo. EU kann sich auf Geld, nicht auf Flüchtlingsquote einigen

Skopje/Luxemburg (AP/dpa/rtr/taz) – Von einem Teil der kosovo-albanischen Flüchtlinge aus dem Lager nahe dem makedonischen Grenzübergang Blace fehlt noch immer jede Spur. „Etwa zehntausend Menschen werden vermißt“, sagte die Sprecherin des UNO-Flüchtlingshilfswerkes UNHCR, Paule Ghebini: „Ich mache mir große Sorgen.“

Überdies mehrten sich gestern Hinweise, daß auf die Vertriebenen bei der Nacht-und-Nebel-Räumungsaktion des Lagers massiver Druck ausgeübt wurde. „Wir können feststellen, daß Flüchtlinge üblicherweise nicht die wenigen ihnen verbliebenen Sachen zurücklassen wie Zelte, Decken, Babynahrung und Pässe. Beweise dafür wurden in Blace gefunden“, sagte Ghebini. Ein Flüchtling berichtete, er habe am Mittwoch seine Familie verlassen, um Brot zu holen. Als er zurückkehrte, waren seine Angehörigen weg. „Es war ein Alptraum“, sagte er.

Im makedonischen Nato-Lager Stenkovac, wohin einige tausend Flüchtlinge aus Blace gebracht worden waren, droht unterdessen ein Versorgungsnotstand. Ein Mitarbeiter erklärte, innerhalb von 24 Stunden könnten die Lebensmittel ausgehen.

Über den Verbleib von Tausenden Albanern, die aus dem Kosovo nicht mehr hatten fliehen können, herrschte gestern weiter Unklarheit. Flüchtlinge, die nach der Schließung der albanischen Grenze nach Albanien gelangten, berichteten, daß auf jugoslawischer Seite keine Menschen mehr zu sehen gewesen seien. Die 25köpfige Gruppe berichtete laut UNHCR zudem, daß Soldaten, Panzer und schwere Waffen an die Grenze transportiert worden seien. Die Grenze werde vermint.

Demgegenüber hieß es von Belgrader Seite, rund 70.000 Flüchtlinge seien in ihre Heimat zurückgekehrt. Das serbische Staatsfernsehen zeigte Bilder mit langen Autoschlangen und Ortsschildern, die ins Landesinnere wiesen. Die Menschen hätten nach Makedonien ausreisen wollen, sich aber entschieden, in ihre Heimat zurückzukehren, hieß es in dem Bericht.

Nato-Generalsekretär Javier Solana und Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) äußerten die Befürchtung, daß Jugoslawiens Präsident Milosevic die Kosovo-Albaner als lebende Schutzschilde benutzen könnte. Das sei eine Erklärung für die Grenzschließung.

Unterdessen einigten sich in Luxemburg die EU-Außenminister auf finanzielle Hilfen. Die EU will demnach 150 Millionen Euro (fast 300 Millionen Mark) als humanitäre Hilfe für die Kosovo-Flüchtlinge und weitere 100 Millionen Euro zur finanziellen Unterstützung der Hauptaufnahmeländer, vor allem Albanien und Makedonien, bereitstellen. Für das Überleben vertriebener Kosovo-Albaner machte die EU Milosevic persönlich verantwortlich. Am Vortag hatten sich die EU-Innenminister nicht auf eine Regelung verständigen können, welches Land wie viele Flüchtlinge aufnimmt.

Die Bundesregierung will die Rettungsaktion zur Aufnahme von Kriegsflüchtlingen ausweiten. Die Aufnahmekapazität der Rettungsflüge zwischen Makedonien und Deutschland solle auf 1.000 Flüchtlinge pro Tag gesteigert werden, sagte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums.