Von lustigen Langliegerlümmeln

■ Zu lasziv? Zu extravagant? Zu teuer? Das Liegerad spaltet die Radlergemeinden: in Liegeradbesitzer, die nichts anderes mehr wollen, und alle anderen, die sich nicht mal für umsonst draufsetzen würden

Albern ist relativ. Sieht voll Scheiße aus auch. Hundert mal bin ich an einem Liegeradler vorbeigekommen und habe mich geschüttelt: Wie kann man nur einen Haufen Geld dafür ausgeben, daß man auf einem ästhetisch frafgwürdigen Rohrgestell mit einem Winzrad vorne dran in Rückenlage seinen Knien bei der Stampfarbeit zusieht? Doch plötzlich zwickte mich ein unbekanntes Organ namens Prostata. Plötzlich konnte ich selbst Fahrräder mit Brooks-Sattel nicht mehr ertragen. Seufzend nahm ich also Platz auf der Komfortbestuhlung eines Liegerads. Und? Eine Erleuchtung war es!

Merkwürdige Wege führen aufs Liegerad. Das ist wohl typisch für dieses Fahrzeug. Bei dem einen ist es der kaputte Rücken. Der nächste will sich nie mehr sattelwund fahren. Rennradler sehen nicht mehr ein, warum sie unter absterbenden Gliedmaßen leiden müssen. Auch viele Eigenbauten-Schraubern zieht es in die laszive Horizontale. Nur den allernormalsten Weg zum Liegerad gibt es nicht: daß man einen Laden betritt und sich aus einem breiten Sortiment unterschiedlicher Marken sein Lieblingsliegerad aussucht.

Fahrradhändler stellen sich nämlich bestenfalls mal ein oder zwei Liegeräder zur Sortimentsabrundung ins Fenster. In Bremen muß man lange suchen. Im Szene-Treff Radschlag hat man gar kein Liegerad mehr im Angebot – „keine Nachfrage“. Der Platzhirsch Schröder aus der Neustadt hat gerade noch ein staubiges Tanaro-Rad als Ladenhüter im Verkaufsraum hängen. Lediglich die Speiche kann aktuelle Liegeräder anbieten. Flux, eine gemäßigte Stadtversion, ist gerade als Rad des Jahres 1999 ausgezeichnet worden. Und dann gibt es hier noch das eher sportliche Hornet der Firma Radius.

Testen wir also Flux, Version V 200, das „City Komfortrad“. Für alle Liegeräder gilt: Man muß erst mal loskommen. Flux ist ein recht kompakter „Langlieger“, so heißen die Dinger, wenn das Tretlager zwischen den Rädern sitzt. Kurzlieger sehen noch extremer aus, weil das Fahrrad vorne mit dem Kettenblatt beginnt und die Füße vor dem Vorderrad trampeln. Mit Flux, das mit dem hohen Lenker an das gute alte Bonanza-Kinderrad erinnert, geht es leicht los. Man muß nur den notorischen Buckelreflex (nach oben buckeln, nach unten treten) bekämpfen und sich ganz gemütlich in den netzbespannten Sitz fallen lassen. Und für Kurven ein bißchen Platz einkalkulieren. Rollt man, wird es lustig. Dank Federung macht es im holprigen Steintor Spaß, kein Schlagloch auszulassen.

Die Weser lang gegen den Wind zieht es dann mächtig in den Knien – Hinweis darauf, daß Liegeradeln neue Muskelpartien beansprucht. Mit Rückenwind ist dann sogar der schnellste Gang zu klein. Den kleinsten der 8-Gang-Schaltung braucht man allerdings, um den Osterdeich raufzukeuchen. Hier macht sich das höhere Gewicht (knapp 20 kg) bemerkbar. Und die Tatsache, daß man nicht aus dem Sattel kann. Nix mit „Wiegetritt“. Merke: ein Liegerad ist nichts für die Alpen.

Liegeräder werden in Kleinstserie hergestellt. Ab 3.000 Mark aufwärts muß man rechnen. Da ist das Flux mit 2.200 Mark geradezu billig. Weit über das Doppelte muß man normalerweise für das Tanaro ausgeben, das ein Ingenieur aus Hude baut. Der Langlieger von Schröder sieht teurer aus als das Flux, hat eine sehr komfortable Federung und zahlreiche Einstellmöglichkeiten für den Sitz. Das Rad ist wirklich lang und hat den klassischen Tieflenker in Hüfthöhe, was den Nachteil hat, daß man dieses Rad schlecht schieben kann. Man liegt aerodynamisch günstig und zischt ziemlich flott los (übrigens auch gegen den Wind). Das Starten ist gewöhnungsbedürftig – man muß beherzt drauflostreten. Tanaro gleitet bestens geradeaus. Und unter 21 Gängen findet sich immer ein brauchbarer.

Wesentlich anspruchsvoller zu fahren sind Kurzlieger. Die Speiche macht, wenn sie ein sportliches Hornet verkauft (voll gefedert ab 3.300 Mark), zuerst Fahrschule. Ein Mitarbeiter läuft fünf Minuten lang stützend und auffangend hinterher. Der kurze Radstand macht das Rad instabil. Gewöhnungsbedürftig ist, daß die Beine hoch in der Luft arbeiten müssen.

Als Liegeradler wird man grundsätzlich angestarrt bzw. an- oder ausgelacht. Noch sind diese Radler im Stadtbild rar. Eine mittlerweile stadtbekannte Erscheinung auf der Strecke zwischen Stuhr und Uni dürfte Bernd Carsten Sander sein, der beinahe täglich fährt, bei jedem Wetter. 33.000 Kilometer hat er runtergerissen, in drei (!) Jahren. Und das auf einem Rad, das ihm nach eigener Schätzung maximal zwei Dutzend Menschen in Bremen klauen könnten. So schwer ist es zu fahren. Es handelt sich um ein Steiger-Airbike mit Frontantrieb und Knicklenkung. Das heißt, die Antriebskette treibt das mit den Füßen gelenkte Vorderrad an. Wie der in schwarzes Goretex gehüllt Elektrotechnikstudent in seinem schwarzen Techno-Bike liegt und die Langemarckstraße entlanggleitet, ist er schon eine schwer beeindruckende Erscheinung.

Das Rad sei der perfekte Autoersatz, sagt Bernd Carsten, schnell, flexibel und bequem. Mit seinen Geschoß, das vollbepackt plus dickem Akku für den Mords-Hallogenstrahler immerhin 27 Kilo wiegt, schafft er Schnitte zwischen 23 und 28 km/h. „Show ist natürlich dabei. Man ist eben anders als alle,“ sagt er. Am Helm, der anzuraten ist, weil Autofahrer den Liegenden leicht übersehen, hat er einen kleinen Rückspiegel. Während der Liegeradler nach vorn den herrlichen Panoramablick genießt, fällt ihm die rückwärtige Orientierung etwas schwerer.

Wer sich für Liegeräder interessiert, findet im Internet hunderte von Hinweisen. Doch noch besser ist vielleicht der Hinweis auf den Bremer Liegeradler-Stammtisch (jeden 2. Donnerstag im Monat in der Gaststätte Sender, Humboldstraße). Über Stammtischniveau allerdings wäre die Frage zu diskutieren, warum es kaum Liegeradlerinnen gibt.

Burkhard Straßmann