Rasende Rächerin

■ Zwischen Flamencogesang und schöner Weltmusik: Lhasa in der Passionskirche

Man müßte sie fast bedauern, Lhasa, deren Biographie ihr eigentlich gar nichts anderes übrigläßt, als zur erfolgreichen Weltmusikerin zu werden: Das arme Kind. Sie wird nach der Hauptstadt Tibets benannt und auch – ganz nach Jack Kerouacs „On the Road“ – in Upper New York State, Big Indian, geboren. Als Tochter einer US- Amerikanerin, die damals Schauspielerin, heute Fotografin ist, und eines mexikanischen Vaters, der Professor und Schriftsteller ist. Die Familie hat noch drei Töchter und Lhasa noch sechs Halbgeschwister.

Jedenfalls fährt ein Teil dieser hippiesken Brady-Family jahrelang mit dem Bus durch die Welt Nordamerikas und Mexikos – der Familienreisesoundtrack enthält vor allem Songs von Billie Holyday und Bob Dylan (Grateful Dead hört man angeblich eher weniger) – und bleibt irgendwann in San Francisco hängen. Hier lassen sich drei der Töchter, die mit ähnlichen Hippie-Weltbürgerinnen-Namen wie Sky und Ayim gestraft sind, vom Zirkus verführen. Da bleibt Lhasa nur das Singen und das Tingeln durch kleine Jazzcafés.

Was also zwingend dabei rauskommen muß, wenn man die Kinder vom Fernseher fernhält, sie arabische, herbräische, mexikanische und Roma-Musik hören läßt, ist eine Worldmusic-Chanteuse. Wobei diese Bezeichnung nicht wirklich etwas aussagt, außer daß sie die hegemoniale Stellung westlicher Industriestaaten festschreibt.

Für diese Vorgeschichte ist Lhasa dann doch erstaunlich konsequent auf ihrer Platte „La Llorona“. Da benutzt sie Spanisch als einzige Sprache, und artikuliert sich im Gestus der klagenden Ranchera, der verzweifelten Flamencosängerin. Ihre Stücke kommen aus so unterschiedlichen Richtungen wie ihre Erinnerungen. „El Desierto“ erinnert an lärmig-dramatische Roadmovie-Sounds von Tom Waits, „la Celestina“ ist Klezmer-Swing, und in vielen Stücken kommen spanische Flamencogitarren ihres Gitarristen Yves Desrosier zu Taraf-de-Haiduk-ähnlicher Verzweiflungsekstase.

Auch wenn Lhasa in den eher langsamen, melancholisch nölenden Stücken steckt, ist das Trauernde einer Lucha Reyes, Chavela Vargas oder Cesaria Evora immer zu hören. Ihre Bühnenposen bewegen sich zwischen der wiegenden Ekstase einer Diamanda Galas und dem scheußlichen Die-eigene-Mitte-Finden der sich wild auf dem Rücksitz räkelnden Landsfrau Alanis Morrissette. Singen, so sagt sie, habe immer mit Trauern zu tun. Und so nennt sie auch ihre Platte nach einer in Mexiko bekannten Trauerarbeiterin, die etwa mit den Homerschen Sirenen vergleichbar ist: La Llorona.

Die Story geht so: Llorona, mit mythischem Namen Cihuacoalt, ist die Frau von Quetzalcoalt und rächt den Tod ihrer Kinder, die in männergemachten Kriegen gefallen sind. Sie macht das, indem sie durch ihr Singen betört und die Betörten dann sogleich zu Stein werden läßt.

Das schließt den Kreis zu Diamanda Galas wieder, die sich in ihrer Sängerinnenfunktion vor allem auf die Tradition der griechischen Klageweiber berufen hat, was auch Lhasa inspirierte. Da sich bei Lhasa auch noch Jacques Brel als Inspirator einfindet, ist sie – im Gegensatz zu Diamanda Galas – mehr die herzzerreißend Melancholische, an der Liebe und ihrem tragischen Schicksal Zerfließende als die rasende Rächerin. Annette Weber

Heute abend um 20 Uhr in der Passionskirche am Marheinekeplatz, Kreuzberg