Die Kamera entscheidet

Früher war die Justiz eine komplizierte Sache, und das Standesrecht verbot allzuviel öffentliche Juristerei. Neuerdings lösen auf allen Kanälen Fernsehrichter Streitereien mit Nachbarn und allerlei andere Alltagsfälle  ■ Von Ulla Küspert

Ernst sei das Leben, behauptet eine dieser ewigen Spruchweisheiten des studierten Juristen Johann Wolfgang von Goethe, doch: heiter sei die Kunst. Ab Montag um 15.10 Uhr muß in einer „unterhaltsamen Gerichtssendung“ namens „Streit um drei“ ein ebenfalls dichtender Berufsnachfahr des zitierten Geheimrats namens Eugen Menken vorexerzieren, daß es sich genau umgekehrt verhält. Mit der Show wollen die Fernsehkünstler vom ZDF jetzt viermal pro Woche ihren nachmittäglichen Humorplatz neu aufbretzeln.

Das alles gibt's (natürlich) nicht nur anderswo längst: „Forum“ in Italien zum Beispiel, oder „Judge Judy“ in den USA, wo die Gerichte ohnehin etwas unterhaltsamer arbeiten – deshalb zeigt die Show dort auch echte Menschen vor Gericht. Das Prinzip, das Fernsehstudio zum Gerichtssaal zu machen, hat sich längst auch bei Klassikern, wie dem „Verkehrsgericht“ bewährt, bei den „Ehen vor Gericht“ oder bei „Wie würden Sie entscheiden“. Bei all diesen Shows gibt's freilich, anders als beim ZDF, schon vom Konzept her nichts zu Lachen. Schließlich ist doch eigentlich das Leben ernst. Jedenfalls nicht mehr so witzig, als daß man mit einer weiteren Ausweitung von Comedystrecken das Quotensoll füllen könnte. Also wird der Hebel umgelegt: Komik ist out, Lebenshelfender Rat im Alltagsrecht ist neuerdings in.

Und je mehr das Standesrecht der Juristen aus den Tagen Goethes oder das berüchtigte Rechtsberatungsgesetz an Macht verliert, desto munterer schwingt sich die Kamera zum Richter auf. Vor Monaten noch versuchten die vereinten Moderatoren von ZDF, RTL und MDR gegen das Beschränkung der Rechtsberatung auf Anwaltskanzleien Front zu machen. Vorerst vergeblich zwar, doch schon ist absehbar, daß auch die Grenzen deutschen Standesrechts bei der europäischen Harmonisierung fallen werden. Da rüsten sich die Sender schon jetzt mit allen möglichen Rechts- und Gerichtssendungen.

Länger schon gerüchtelt es, daß auch Pro 7 demnächst mit einer Prozeßserie starten wolle. Beim MDR ist ab übernächster Woche ein gewisser Klaus „Escher vor Ort“ – jeden Donnerstag rät er in „Ein Fall für Escher“ bereits aus dem Studio. Bei RTL ist man besonders emsig: Ab heute schleudert Geert Müller-Gerbes der knappkantig von Müller-Gerbes' comedyhaften „Wie bitte!?“ entwöhnten RTL-Gemeinde ein neues „Wir kämpfen für Sie!“ entgegen. Mit „wahren Geschichten“, die „alle auf den Bauch und dann auf das Hirn zielen“. Da müssen die Taschentücher parat sein, sich aber „unseriöse Versicherungen, zahlungsträge Krankenkassen und lahme Behörden jetzt wieder in Acht nehmen“! Dabei hat er (streng nach dem rechtsberatungsgesetz) eine veritable Anwältin für den Paragraphenkram und (Flieg läßt grüßen!) einen echten Pfarrer für den Seelentrost.

Das ZDF hat für seine neue Show immerhin „Kölns witzigsten Richter“. Als solcher, so erzählten's die Lokalzeitungen, soll Menken sich in den Annalen der rheinischen Justizgeschichte verewigt haben, weil er die Fälle, in denen er Recht zu sprechen hatte, nach dem Urteil des öfteren in Limericks „auf den Punkt“ zu bringen pflegte. Die „herzlose Juristerei“, meinte er dazu, habe ansonsten ja „eher Steine als Brot an die Menschen zu verteilen“. Berufskomiker wie Jürgen von der Lippe, Harald Schmidt, Margarethe Schreinemakers oder Karl Dall fanden das so komisch, daß sie den schüttelreimenden Richter zu sich aufs Televisionssofa holten

Nun ist der limerick-geliftete Ernst seines seines echten Amtsrichterlebens weit, ebenso wie die Herren Collega der Jurisprudenz, bei denen seine „Satiren auf den Juristenbetrieb eher schräg“, also gar nicht gut gekommen sein sollen. Da könnte sich der witzige Richter doch beim Dichten und Richten ganz der Kunst des Fernsehens hingeben. „Königlich-Kölsches Amtsgericht“, oder etwas anderes, wo den Zuschauern gleichzeitig Informatives gegen den Alltagsknatsch mitgeteilt wird. Oder auch den Prozeßhanseln unserer Tage, die tatsächlich 2,5 Millionen mal pro Jahr vor Gericht ziehen.

Aber: Aus ists mit der Heiterkeit. Man läßt Menken nicht. Das Äußerste, was an Schalk über seine Lippen kommt, ist bei der dritten der am Montag zu verhandelnden Sachen die Freude, ein Präzedenzurteil gefunden zu haben: „Da kann man als Richter nämlich abschreiben und braucht nicht selber zu denken.“ Das ZDF meint's nämlich bitter ernst. Alles soll „so authentisch wie möglich“ wirken, sagt die Redaktion, und das heißt: dröge.

Deshalb wird auch verheimlicht, daß Schauspieler, Kläger und Beklagte aus dem Stehgreif „auf echt“ mimen (was eher schlecht als recht gelingt). Auch das „Gerichtspublikum“ wurde sorgfältig auf Durchschnittsbevölkerung durchmischt, geschminkt und angezogen und wird von einem „Reporter“ vor und nach Menkens Sprüchen „befragt“.

Aber der unwitzige Richter Menken wird allem Anschein nach ohnehin nicht allein bleiben: Zur Zeit inseriert die Produktionsfirma Crea-TV (die Hans Meiser gehört und MDR's Escher verantwortet), heftig nach Interessenten: „Streit mit Nachbarn, Freunden oder Familie? Rufen Sie an: TV-Richter entscheidet Ihren Fall...“ Also denn: Rein ins Fernsehen. Wenn sich denn „die Erkenntnis durchsetzt“, so der frischgebackene ZDF-Richter Menken, „daß man nicht für jeden Unsinn prozessieren sollte, wäre ich hochzufrieden.“ Und Justitia schiebt vielleicht ihre Augenbinde herunter, um zuzugucken.