Handelsinteressen überwiegen den Krieg

Der Gipfel zwischen den USA und China steht ganz im Zeichen der Wirtschaft: William Clinton und Zhu Rongji sehen gute Chancen für einen baldigen Beitritt Pekings in die Welthandelsorganisation  ■   Aus Peking Georg Blume

In unfriedlichen Zeiten zeigen Staatsmänner Stärke. Die in Peking wollten die Gespräche abbrechen, die in Washington kümmerte es nicht. Noch vor wenigen Tagen schien sich die frostige Atmosphäre des Balkankrieges auch auf die amerikanisch-chinesischen Beziehungen niederzuschlagen. Doch dann sagte sich Bill Clinton ein zweites Mal: „It's the economy, stupid!“, und alles kam anders.

Nie zuvor wurde ein chinesischer Regierungschef in Amerika mit soviel Lob und Wärme empfangen wie Zhu Rongji am Donnerstag in Washington. „Sie haben hart gegen die Korruption gekämpft“, pries der Präsident seinen Gast. „Sie haben das Verwaltungssystem Ihres Landes neu erfunden. Sie haben eine weise Wirtschaftspolitk betrieben, die Chinas Stabiltät in der Asien-Krise wahrte. Das war gut für Millionen amerikanische Arbeiter. Ich bin dankbar für Ihren Besuch“. Da lächelte das Pokergesicht Zhu und antwortete: „Amerika liebt die Freiheit und China den Frieden. Niemand kann unsere Freundschaft untergraben“.

Diese Freundschaft stand in den vergangenen Wochen auf der Kippe. Ein Handelsdefizit von mehr als einer Milliarde Dollar wöchentlich beschert die Volksrepublik heute den Vereinigten Staaten. Da läßt es sich in Amerika leicht sagen, China nehme den Amerikanern Arbeitsplätze weg. Zudem schaffen angebliche Enthüllungen, denen zufolge chinesische Spione in den USA die Geheimnisse der Neutronenbombe und anderer Atomwaffen lüfteten, neben der Handels- eine zweite militärische Front. Für den republikanischen Mehrheitsführer im Senat, Trent Lott, ist die Zeit längst gekommen, Peking (im US-Wahlkampf) an den Pranger zu stellen: China unterdrücke die Menschenrechte und religiöse Freiheiten, zu dem gäbe es „überwältigende Beweise“ für Atomspionage, sagte Lott kurz vor Eintreffen Zhus. Ein solches Land könne nicht in die Welthandelsorganisation (WTO) aufgenommen werden.

Doch dem widersetzte sich Clinton: „Wenn China bereit ist, sich nach den internationalen Handelsregeln zu richten, dann wäre es ein unvermittelbarer Fehler, wenn die USA nein dazu sagten“, folgte er seinem politischen Instinkt, der Wirtschaft Vorrang einzuräumen. Das Ergebnis ließ nicht lange auf sich warten: Nach Ende der Gespräche in Washington waren sich beide Seiten so nahe gekommen, daß sie einen WTO-Beitritt Chinas für dieses Jahr in Aussicht stellen.

Die Krise in Jugoslawien und in Asien zwang zur klaren Prioritätensetzung. Zwar reagierten in Peking einige Parteizeitungen und Politbüro-Mitglieder auf den Balkankrieg spontan mit Hegemonievorwürfen gegenüber dem Westen, doch die Reformer um Zhu konnten mit wirtschaftlichen Interessen dagegenhalten. In der Asienkrise ist China mehr denn je auf offene Märkte und ausländisches Kapital angewiesen. Und es braucht ausländische Konkurrenz auf dem Heimatmarkt, um die maroden Staatsbetriebe auf Trab zu bringen. Clinton hingegen weiß, daß ein Handelsdefizit nicht immer weh tut und die Wirtschaftskrise derzeit China beißt, nicht die USA. US-Unternehmen könnten vom WTO-Beitritt Chinas profitieren, der ihnen Zutritt zu einem Markt mit 1,2 Milliarden Menschen verspricht.

Schon überschlagen sich vor Ort die Ereignisse: Peking hat gerade den Telekom-Markt zerschlagen und in vier Bereiche für Telefon, Mobiltelefon, Satelliten und Benachrichtigungsdienste zerlegt. Auch im Finanzbereich warten neue Anreize auf ausländische Banken. Die Automobilzölle sinken.

„Noch sind wir nicht ganz am Ziel“, dämpfte der US-Präsident am Donnerstag allzu große Erwartungen bezüglich der WTO-Gespräche. Doch er schien seine Linie gefunden zu haben. „Reichtum wird mit Ideen gemacht“, gab Clinton den Chinesen hinsichtlich ihrer restriktiven Menschenrechtspolitik zu bedenken. Seine Idee aber, Amerika reicher zu machen, ist die Einbindung Chinas in den Weltmarkt.