Schrottreaktor bald wieder am Netz?

■ Umweltschützer empört: Das endgültige Aus für Biblis Block A scheint nach dem Regierungswechsel in Hessen wieder fern

Frankfurt (taz) – Eduard Bernhard ist stocksauer. „Viel zu spät“, wirft das Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) vor, seien die Weisungen der früheren Bundesregierung gegen die Stillegungsverfügungen aufgehoben worden.

Erst „in letzter Minute vor dem Regierungswechsel in Hessen“ habe die ehemalige hessische Umweltministerin Priska Hinz (Grüne) eine neue Stillegungsverfügung vorlegen können. Und die sei der Betreibergesellschaft, den Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerken (RWE), nicht mehr zugestellt worden. Jetzt liege sie auf dem Schreibtisch von Wilhelm Dietzel (CDU), dem neuen Minister für Landwirtschaft und Energie im Kabinett von CDU-Ministerpräsident Roland Koch.

„Falsch verstandene Fairneß“ nennt Bernhard das. Dietzel werde diese Verfügung, in der es heißt, daß es „gravierende Sicherheitsmängel“ am Block A gebe, „ganz bestimmt nicht unterschreiben“.

Tatsächlich heißt es im Koalitionsvertrag zwischen Union und FDP, daß nicht auf die „Option der friedlichen Nutzung der Kernenergie“ verzichtet werden könne. Vorrang habe aber „die Sicherheitsfrage“. „Sicherheitserhöhenden Auflagen“, die schon Ende der 80er Jahre von Landesumweltminister Karlheinz Weimar (CDU) für Biblis Block A erlassen wurden, müßten jetzt von RWE „zügig abgearbeitet“ werden. Im Gegenzug müsse die Landesregierung die Nachrüstungen ebenso „zügig“ genehmigen.

RWE hatte den grünen Landesumweltministern seit 1991 vorgeworfen, Anträge für sicherheitserhöhende Maßnahmen „verschleppt“ zu haben. Die rot-grüne Landesregierung vertrat dagegen die Auffassung, daß RWE für die wichtigsten Auflagen erst gar keine oder nur unvollständige Anträge eingereicht habe. Die Kosten für eine sicherheitstechnische Nachrüstung des AKWs (Baujahr: 1976) werden auf 30 Millionen Mark geschätzt.

Der BUND Hessen appellierte an die neue Landesregierung, den „Schrottreaktor“, der wegen Revisionsarbeiten abgeschaltet ist, nicht wieder in Betrieb zu nehmen. Wenn Union und FDP ihrem Anspruch, die Sicherheit der Bevölkerung vor die Interessen der Betreiber zu stellen, ernst nehmen würden, müßten sie jetzt die Stilllegungsverfügung von Hinz (Grüne) unterschreiben. Noch habe sich die neue Landesregierung nicht mit dem „Komplex Biblis“ beschäftigen können, sagte Regierungssprecher Dirk Metz (CDU) der taz auf Nachfrage: „Wir richten uns gerade erst ein.“

Daß RWE sich keine großen Sorgen mehr um Biblis Block A zu machen brauche, glaubt Eduard Bernhard (BBU). Schließlich habe sich der neue Minister mit Ulrich Thurmann einen Staatssekretär ins Haus geholt, der zu den „Pro-Atom-Hardlinern“ gehöre. Er habe schon im Prozeß um die Plutoniumfabrik Alkem 1987/88 kein Hehl aus seiner atomfreundlichen Haltung gemacht.

Aber warum hat Trittin die Weisungen der alten Bundesregierung gegen die hessischen Stillegungsverfügungen nicht schon Ende 1998 aufgehoben und so dem ausstiegswilligen Land die Chance eröffnet, eine neue Verfügung zu erlassen?

In diversen Schreiben nach Bonn habe sich das hessische Umweltministerium in den vergangenen Monaten „mit den den (alten) Weisungen zugrundeliegenden Aussagen auseinandergesetzt“, heißt es in einer Erklärung noch aus dem grünen Umweltministerium in Wiesbaden. Für die Prüfung habe der Bundesumweltminister „seine Zeit gebraucht“. Und – so war von der Landtagsfraktion zu hören: „Kein Mensch hat doch mit einem Regierungswechsel gerechnet.“

Jetzt liegt die neue Stillegungsverfügung vom 5. April 1999 also auf dem Schreibtisch von Dietzel (CDU). Der hatte seine Vorgängerin Hinz schon gewarnt, ihm mit einer „vorschnellen“ Zustellung der Verfügung an RWE nachträglich „kein faules Osterei“ ins Nest zu legen.

Dietzel versprach die „ideologiefreie“ Prüfung der Unterlagen. Der BUND ist allerdings schon gespannt, „wer sich in der neuen CDU/FDP-Landesregierung mit welchen Argumenten an die Aufhebung der durch Hinz erlassenen letzten Stillegungsverfügung heranmacht“. Klaus-Peter Klingelschmitt