Die SPD in Zeiten des Krieges

Vor ihrem Sonderparteitag wächst in der SPD die Wut über die Haltung der Bundesregierung zum Nato-Einsatz. Trotzdem wird Schröder von dem Konflikt profitieren. Oskar, Armani, Cashmere sind vergessen  ■ Von Markus Franz

Bonn (taz) – Lange nicht mehr wurde einem Parteitag der SPD mit so großer Spannung entgegengesehen. Kommt es am Montag in Bonn zum Zoff zwischen Kriegsgegnern und Befürwortern? Flammt die Debatte zwischen sogenannten Modernisierern und sogenannten Traditionalisten auf? Welche Rolle spielt der Rücktritt von Oskar Lafontaine? Bekommt Ottmar Schreiner bei seiner Wahl zum Bundesgeschäftsführer mehr Stimmen als der neue Parteivorsitzende Gerhard Schröder?

Ottmar Schreiner ist scheinbar gelassen. Wenn die Debatte zum Kosovo von Toleranz geprägt sei, sagt er, „dann könnte die Partei stärker zusammenwachsen“. Und wenn nicht? „Ist doch logisch“, sagt Schreiner, „dann das Gegenteil.“ Aber dazu, meint er, werde es wohl kaum kommen. Bisher sei die Debatte von außerordentlicher Fairneß geprägt.

In der Tat wird nicht untereinander gehetzt. Dafür grummelt es in der Partei heftig über die als stromlinienförmig angesehene Haltung von Regierung und Parteiführung zum Kosovo-Konflikt. Bundeskanzler Schröder hatte in einer Kabinettsrunde die bedingungslose Marschroute vorgegeben: „Wir müssen uns der Verantwortung stellen... Wer von diesem Tisch Verunsicherung nach draußen sät, gehört nicht hierhin... Der entscheidende Punkt, den Menschenschlächter in Belgrad zu bekämpfen, ist unsere Festigkeit... Das westliche Bündnis ist Teil der deutschen Staatsraison.“

Viele in der SPD wollen sich aber nicht entmündigen lassen. Die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis warf ihrer Partei vor, die Debatte zu kurz gehalten zu haben. „Die SPD ist zu fett und zu schläfrig geworden.“ Andere trauen sich mit ihrer Kritik nicht an die Öffentlichkeit. Zunehmend sind aber wütende Töne zu hören. „Ich fühle einen Zorn, und was für einen“, sagt ein Abgeordneter, der die bedingungslose Unterstützung der Nato durch die Regierung nicht mehr mit ansehen kann. Ein anderer spottet über die „drei Säulenheiligen“, Schröder, Fischer und Scharping, die ihm langsam „zu heilig“ würden. Der eine müsse zeigen, daß er pro-amerikanisch sei. Der zweite, daß er nicht nur anti, sondern auch für etwas sei, der dritte wolle den starken Mann spielen.

Die Parteilinken wollen einen Antrag zum Kosovo-Krieg stellen. Die Jungsozialisten gaben bekannt, daß sie sich dem Antrag anschließen werden, „in dem das sofortige Ende der Angriffe“ gefordert werden soll. Ob es einen Antrag solchen Inhalts geben wird, ist aber noch nicht ausgemacht. Einige Parteilinke wie das Vorstandsmitglied Benjamin Mikfeld fordern zwar einen von der Nato ausgehenden Waffenstillstand. Andere wie der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Gernot Erler wollen die Beendigung der Angriffe aber davon abhängig machen, daß die Vertreibung der Kosovo-Albaner ein Ende hat.

Ottmar Schreiner spekuliert sogar damit, daß es möglicherweise gar keinen Antrag der Parteilinken geben wird. Er begründet das damit, daß sich die Lage im Kosovo bis zum Wochenende ändern könne. Oder macht die SPD-Führung etwa noch Druck? Sicherheitshalber arbeitet sie an einem eigenen Antrag, der die Haltung der Bundesregierung unterstützt. Dadurch soll dem Antrag der Parteilinken bei der Abstimmung das Wasser abgegraben werden. Schreiner rechnet damit, daß zwei Drittel der Delegierten dem Kurs der Bundesregierung zustimmen. Er verweist auf eine Emnid-Umfrage, der zufolge 69 Prozent der SPD-Mitglieder den Kurs der Bundesregierung unterstützen.

Um den Unmut der Kriegsgegner zu kanalisieren, soll die Aussprache über das Kosovo zeitlich nicht begrenzt werden. Eine herausgehobene Position wird Verteidigungsminister Scharping mit einer Rede zur Krisensituation bekommen. Die Wahl von Schreiner und Schröder könnte auf den frühen Abend verschoben werden. Eine Verlängerung des Parteitages um einen Tag hält Schreiner allerdings für unwahrscheinlich. Mit besonderer Spannung wird die Abstimmung über den neuen Parteivorsitzenden erwartet. Die Jusos geben nicht nur keine Empfehlung in dieser Frage ab, sondern schütten auch noch Öl ins Feuer. Die Juso-Vorsitzende Andrea Nahles mahnte, daß die SPD kein Kanzlerwahlverein werden dürfe. Eine deutliche Kampfansage.

Aber was wiegt das schon in Anbetracht des Krieges? Schröder könnte beim Parteitag, so zynisch es klingt, vom Kosovo profitieren. Nach Lafontaines Rücktritt formierten sich zunächst dessen selbstverstandene Erben. Flächendeckender Streit über die Ausrichtung der SPD auf Kanzlerkurs war programmiert. Zudem hätte Schröder die Trauerarbeit über Lafontaine schaden können. Das alles ist jetzt in den Hintergrund geraten. Auch der Eindruck von Schröder als „Bruder Leichtfuß“ und „Armani-Kanzler“. „Dieses Image“, sagt ein Vertrauter, „hätte Schröder richtig gefährlich werden können.“