„Superspektakulär“

Großes Saisonfinale im Boardercross, jener Snowboardvariante, die der Wintersport fürs neue Jahrtausend werden will  ■ Aus Laax Fred Stein

Der berühmte Rider war zornig, und ihm fernzubleiben eindeutig die gesündere Alternative. Platz sechs nur erreicht beim Finale der ISF-Boardercross-Weltserie von Laax auf dem Crap Sogn Gion in den Schweizer Alpen – das war für Shaun Palmer, den exzentrischen US-Snowboarder, zu wenig Ertrag nach den Mühen eines aufreibenden Arbeitstages. Wütend stapfte er davon, als die Entscheidung gefallen und der umjubelte erste Rang dem Schweizer Ueli Kestenholz zugefallen war. Palmer sieht sich als Fahrer von höheren Gnaden und als besten Extremboarder der Branche. Von ihm stammt der gewagte Ausspruch: „Es klingt anmaßend, aber ich denke, ich bin der beste Athlet der Welt.“ Verlieren bedeutet für ihn, das eigene Selbstverständnis zu widerlegen. Da konnte man die mäßige Laune schon verstehen. Daß er trotz Platz sechs für den Gesamtsieg in der Serie geehrt wurde, munterte ihn auch nicht besonders auf. Schon gar nicht, daß Nillard Pilavakis die Frauenkonkurrenz gewann und Amerikas Ehre rettete.

Andererseits kann ja alles nicht so schlimm gewesen sein. Schließlich ist Meister Palmer Teil eines florierenden Gewerbes mit exzellenten Perspektiven. Boardercross ist in, und die Chancen stehen gut, daß es nicht als Zeitgeisterscheinung scheitert. Die Wettkampfform ist spektakulär: Sechs Rider treten an zu einem Rennen, das alle Schikanen des Snowboardens bietet: enge Kurven, weite Sprünge, waghalsige Manöver. Mut muß haben, wer hier gewinnen will, taktisches Geschick und den Blick dafür, wann man das Brett laufen lassen darf und wann man besser abbremst. Das gefällt.

Seit seiner olympischen Premiere 1998 in Nagano mit den Disziplinen Riesenslalom und Halfpipe ist Snowboarden ohnehin schon aufgestiegen von der belächelten Trendsportart in den Kreis der beachteten Übungen, mit denen sich gut Geld verdienen läßt. Die Sparte Boardercross verspricht den Wettkampfbetrieb noch populärer zu machen. 1994 hat Boardercross erst Aufnahme gefunden ins Snowboardprogramm, gesichtet vom Münchner Unternehmer Uwe Sasse, der, selbst Snowboarder, sich für die Rasse des Rennens begeistern konnte, das wirtschaftliche Potential entdeckte und sich den Namen Boardercross schützen ließ.

Seither vermarktet seine Münchner Firma Bordercross Marketing Consulting GmbH (BMC) den Sport. Und zwar mit Erfolg: BMC hat gerade das mit Abstand beste Geschäftsjahr seiner jungen Geschichte hinter sich. Sein Produkt kommt an, vor allem beim Fernsehen. „Weltweit gibt es mittlerweile 200 Sender, die unsere Bilder nehmen“, sagt BMC-Mitarbeiter Heli Herdt, „wir haben bei den Fernsehzeiten eine Steigerung von über tausend Prozent.“ Längst gilt Boardercross als der Wintersport fürs neue Jahrtausend, der den starren Alpindisziplinen den Rang abläuft. Selbst Skifahrerweltverband FIS, Konkurrent der Snowboarder-Föderation ISF, ist hellhörig geworden. Längst hat die FIS ihre eigene Boardercrossversion kreiert: Beim Snowboardcross schrumpft der Sechs- zum Vierkampf und das Streckenprofil ist weniger anspruchsvoll. Es gilt als wahrscheinlich, daß die FIS diese Boardercross-Attrappe 2002 als olympischen Bewerb vorstellt.

Für Ueli Kestenholz, Bronze- Gewinner im Riesenslalom von Nagano, ist diese Entwicklung „ganz logisch“. Was der Boardercross dem Zuschauer bietet, „das ist superspektakulär“, sagt er und stellt fest: „Ganz klar, Boardercross holt auf.“ Zumal die Besten mittlerweile Erfahrungen gesammelt haben, wie sie sich auf die Action-Abfahrten vorbereiten müssen; das Niveau steigt stetig.

Kestenholz ist sich trotzdem nicht sicher, ob es so eine gute Idee wäre, das Hindernisrennen zum Olympiabeitrag aufsteigen zu lassen. „Dann wird noch härter gekämpft, dann wird es noch gefährlicher.“ Denn das ist der große Nachteil des Boardercross: Im ehrgeizigen Kampf um die besten Plätze tragen sich schon mal unangenehme Unfälle zu, die nicht immer so lustig sind, wie jene, die man in Laax erleben durfte; da wurden manche beim Sprung so weit nach außen getragen, daß sie sich in den wehenden Fahnen des Hauptsponsors am Streckenrand verfingen. Außerdem müßte man wohl Shaun Palmer fürchten. Dessen Zorn nach einer Niederlage bei Olympia wäre wohl endgültig nicht mehr zu versöhnen.