■ Kosovo: Die USA und ihre Nato verfolgen keine humanitären Ziele
: Wann ist der Mensch entbehrlich?

Politiker neigen dazu, Sachverhalte mit Euphemismen zu verschleiern. „Humanitäre Hilfsaktion“ – das ist ihr Meisterstück. Denn bei der Nato-Bombardierung von Serbien spielen Menschenrechte eine untergeordnete Rolle, vielmehr soll die Nato anstelle der UNO zum Weltpolizisten werden, denn die tanzt nicht so schnell nach Washingtons Pfeife. Und die Nato, das ist der bewaffnete Arm der US-Regierung.

Haben jene, die den Angriff auf Serbien bejubeln, die Geschichte vergessen? Die schlimmsten Diktatoren seit 1945 sind mit Hilfe der USA oder Britanniens an die Macht gekommen. In Indonesien sind 1965 eine halbe Million Menschen mit britischer Hilfe umgebracht worden. Und im Irak sind aufgrund der US- Sanktionen eine halbe Million Kinder gestorben. US- Außenministerin Albright sagte, das sei die Sache wert. Solch zynische Einschätzung aus Übersee ist nicht neu, im Vietnamkrieg bezeichnete ein US-General die toten Zivilisten als „leider entbehrlich“.

Das waren in den Augen der US-Regierung vermutlich auch die Bosnier, als Albrights Vorgänger Cyrus Vance 1992 dem Milošević-Regime und den bosnischen Serben das Waffenarsenal von Ex-Jugoslawien überließ, während das Waffenembargo gegen Sarajevo strikt überwacht wurde. Der Friedensplan von Dayton verlieh den „ethnischen Säuberungen“ in Bosnien das US-amerikanische Plazet. Im Kosovo sollte Milošević die Albaner nach Plan der USA in Schach halten. Daß er sie vor den Fernsehkameras der Welt gleich abschlachtete, war nicht abgemacht.

Die britische Regierung argumentiert, wer dafür sei, daß der frühere chilenische Diktator Pinochet nach Spanien ausgeliefert wird, müsse auch für den Nato-Einsatz in Serbien sein. Unsinn. Bei Pinochet geht es darum, ihn vor Gericht zu stellen und nach Recht und Gesetz zu verurteilen, im Fall Milošević geht es den USA genau darum nicht. 78 Länder haben bisher den Vertrag über einen International Criminal Court unterzeichnet, die Regierung in Washington weigert sich, es zu tun. Natürlich hätte dieser Gerichtshof, wäre er bereits einsatzfähig, die Kosovo- Krise nicht verhindern können, doch die Sprache der US-Regierung ist verräterisch, was die Motive der Nichtunterzeichnung anbelangt. Was wäre wohl passiert, entsetzte sich Jesse Helms, wenn es den Gerichtshof bei der US-Invasion von Panama und Grenada oder bei der Bombardierung von Tripolis gegeben hätte? Eben. Die USA und ihre Nato wollen sich nicht in der Wahl der Mittel bei der Durchsetzung ihrer Interessen einschränken lassen. Wer ihnen in Serbien humanitäre Motive unterstellt, hat in den vergangenen 50 Jahren nicht aufgepaßt. Ralf Sotscheck