Völker, hört die Oper!

■ Zärtlich, schrill, gewaltig: Luigi Nonos Revoluzzer-Sangspiel "Al gran Sole carico d'amore" Von Stefan Siegert

Was um alles in der Welt hat die Staatsopernleitung bewogen, Luigi Nonos Al gran sole carico d' amore 21 Jahre nach der deutschen Erstaufführung in Frankfurt nun in Hamburg erneut auf die Bühne zu bringen?

Wie die Premiere am Sonntag zeigte, handelt es sich schließlich in dieser Oper um den nicht enden wollenden, freilich seit gut 20 Jahren ein wenig in Vergessenheit geratenen und seit 1989 gar für tot erklärten Versuch eines Teils der Menschheit, diese Welt nach den Gesetzen von Vernunft, Gerechtigkeit und Menschenliebe einzurichten – für den seriell komponierenden Kommunisten Nono Anlaß zum Hohelied auf die soziale Revolution und ihre Helden, vorwiegend die weiblichen.

Da sprang doch tatsächlich Lenin als Reanimateur der Geschichte über die Bühne und fackelte nicht lange mit Ausbeutern wie Bismarck und Thiers. Solistinnen der Pariser Commune, allen voran die Anarchistin Louise Michel (gesungen zusammen mit anderen Heroinnen in einer Art Rotationssystem von Sarah Leonard, Elena Vink, Priti Coles und Sabine Ritterbusch), beschworen den Umsturz der Unmenschlichkeit. Herum um die Mutterfigur aus Gorki und Brecht – eindrücklich der Mezzosopran von Elisabeth Laurence – verschmolz die Russische Revolution von 1905 mit Klassenkämpfen im Turin von 1950, dem Sturm auf die Moncada-Kaserne in Kuba und dem Befreiungskrieg in Vietnam.

All das war nicht so sehr den gelegentlich etwas reißerischen, durchweg aber mit assoziativ-poetischen Bildern auf Höhe der Musik befindlichen Szenenbildern zu entnehmen, sondern der Collage aus Texten von Rimbaud über Pavese bis Brecht, gemixt mit dokumentarischem Material. Sie ersetzten Handlung und gaben historische Orientierungen. US-Regisseur Travis Preston begriff Algran sole als bilderreiches Requiem. In seinem so flüssigen wie schlüssigen Regiekonzept lag Nonos Hauptaugenmerk auf dem Aspekt des Massenopfers, das in Revolutionen für gewöhnlich die Unterdrückten bringen.

Diese Tragik ist in Nonos, von Gregorianik über Belcanto bis zur Internationalen vielschichtigen, vielgestaltigen Musik gewendet in den historischen Optimismus derer, die die Welt verändern. Ihr Opfer, so die traurige Gewißheit, die Nono mit seiner „azione scenia“ ausdrücklich befördert, wird weit hinausweisen über sie selbst in die sozialen Kämpfe künftiger Zeiten.

Durch solch differente, ja gelegentlich dialektisch differierende Dimensionen der Musik steuerten die Philharmoniker unter Ingo Metzmacher mit hochsensibler Selbstverständlichkeit. Zuverlässig aufregend wie immer der von Jürgen Schmalz gecoachte Staatsopern-Chor.

Ein höchst kurzweiliger, berührender und faszinierender Abend – für Menschen, denen Revolutionen etwas bedeuten. Die große Mehrheit des Premierenpublikums machte nicht den Eindruck. Sie klatschte am Ende unverdrossen begeistert. Trennte man da wieder einmal zwischen grandioser Musik und mehr ärgerlichem als verstörendem Inhalt? Für wen also diese zärtliche, schrille und gewaltige Oper?