■ Die russische Seele braucht dringend europäische Anerkennung
: Moskauer Emissäre nach Belgrad

Sind Rußlands Nuklearwaffen wieder auf Nato- Ziele gerichtet? Stürzt sich der Kreml womöglich in ein Vereinigungsabenteuer mit den europäischen Parias Lukaschenko und Milošević, wie es die tumultartigen Ereignisse vom letzten Freitag noch androhten? Sein kindliches Entrüstungs- und Empörungspotential hat das tausendjährige Imperium wieder einmal nachhaltig zur Schau gestellt. Wieviel wäre für den russischen Protest und die Geltung des Landes gewonnen, wenn der Kreml die Verbrechen im Kosovo eingestehen würde – und dann seine Bedenken vorbrächte. Er schüfe eine Grundlage, die im Westen nicht übergangen werden könnte. Wo sitzen die sowjetischen Ideologen, die dieses Prinzip virtuos beherrschten? Aber der Kreml handelt heute nicht nach rationalen Motiven, darin liegt die Gefahr.

Das destruktive Potential des Riesenreichs ist groß. Es kann Schaden anrichten, wo immer es will. Der Autismus, den Rußland dieser Tage zeigt, macht indes nicht einmal vor Selbstvernichtung und Selbstverstümmelung halt. Was bedeutet es anderes, wenn Moskau eine orthodoxe Allianz mit den Serben beschwört und damit ein Fünftel seiner muslimischen Bürger indirekt zu Feinden erklärt. Es legt die Lunte gleich für mehrere Tschetschenienkriege an der Peripherie, die Moskau am Ende auf die Größe des ursprünglichen Fürstentums schrumpfen ließen.

Die zivilisatorische Rückständigkeit ist es, die der Westen sorgfältig analysieren sollte. Gerade sie verschafft einem Mythos Beine. Zwar ist Rußland heute nicht die UdSSR Stalins zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, die sich binnen kurzem in eine gigantische Kriegsmaschinerie verwandelte. Dennoch gilt es, die Mobilisierungsfähigkeit und den Enthusiasmus der Massen nicht zu unterschätzen. Die Geschichte kann auf beeindruckende Beispiele verweisen.

Die Rückständigkeit beinhaltet aber auch eine Chance, die der Westen nutzen könnte. Erhielte Primakow ein internationales Mandat, in Belgrad zu verhandeln und die von Präsident Jelzin konstatierte „moralische Überlegenheit“ – der Kreml-Chef erinnert sich offenkundig nicht an seine Verbrechen im Kaukasus – unter Beweis zu stellen, geriete auch der Nato-Konflikt bald in Vergessenheit. Eigentlich geht es den Russen um nicht viel mehr als ein bißchen Anerkennung und Ehrerbietung. Tägliche Berichte über den Sonderemissär auf dem Balkan wären Balsam für die russische Seele und Gift für die chauvinistischen Kriegstreiber. Der Erfolgsdruck, unter dem Primakow innenpolitisch stünde, lieferte überdies eine Garantie, daß er mit Milošević bald eine unzweideutige Sprache sprechen würde. Klaus-Helge Donath